Quer und quer gesellt sich gern

Globale Gegenwart zwischen Kunst und Aktivismus: Ein Sammelband hinterfragt den Mythos vom ach so toll globalisierten künstlerischen Feld

Eine Zeitdiagnose besagt, dass wir uns angesichts der Globalisierung alle zu hybriden, nomadenhaften, flexiblen Menschen entwickeln. Postmoderne Identität wurde das einstweilen genannt, und die hatte ein Vorbild: die Kunstschaffenden.

Schon lange gelten KünstlerInnen als die kulturellen Mischwesen, die, von lokalen Verpflichtungen und Normen entbunden, von überall kommen, überall hinfliegen und ihre Einflüsse permanent allerorts herholen. So zumindest der Mythos, der nicht nur im künstlerischen Feld selbst gern gepflegt wird.

Es ist insofern eine Form angewandter Kritik an der Globalisierung, dieses Bild zu demontieren. Im vorliegenden Sammelband, der sich dem Zusammenhang von zeitgenössischer Kunst und Globalisierungskritik widmet, liefert Ulf Wuggenig dazu ein paar schöne Zahlen: So ist die Anzahl der einflussreichen KünstlerInnen, die nicht aus Nordamerika oder Westeuropa stammen, in den letzten dreißig Jahren nur um zwei Prozent gestiegen und liegt nun bei satten zehn von Hundert. Von den wenigen, die nicht im Nordwesten geboren sind, sind aber die meisten dorthin emigriert und leben da. Der oft diagnostizierte Wandel des Kunstfeldes vom „interkulturellen Dialog“ zur „globalen Gegenwart“ hat, das ergeben Wuggenigs empirische Untersuchungen, nicht stattgefunden.

Was das für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen bedeutet, dürfte klar sein: Hybridisierung und globale Dörflichkeit bleibt die Ausnahme trotz massiver Wanderungsbewegungen. Gerade deshalb muss Kritik aber genau dort ansetzen. So ist das Thema Migration ein Bezugspunkt, der sich in den meisten der 19 Aufsätze wiederfindet. Ob die Kampagne „Kein Mensch ist illegal“ als hybride Praxis vorgestellt wird, wie im Beitrag von Ralf Homann, oder ob Ljubomir Bratic die Forderung nach gleichen Rechten für alle diskutiert, immer wieder sind es die MigrantInnen, deren Rechte, Kämpfe und Lebensbedingungen zum Maßstab der Kritik herangezogen werden.

Dass der Sammelband seine Beiträge im Rahmen der in Österreich geführten Debatten zusammenführt, verleiht dem Antiglobalisierungsbuch eine merkwürdige, aber nicht unangemessene Lokalität. Wenn Theorie immer so gut ist wie das, was man mit ihr machen kann, wie Katja Diefenbach in ihrem Text zu „Empire“ schreibt, dann ist dies sicher ein gutes Buch. Theoretisch wird hier in Anlehnung an Gilles Deleuze für transversale – was so viel heißt wie durchquerende oder quer laufende – Praktiken argumentiert. Insofern lässt sich der Band vielleicht selbst als transversale Praxis beschreiben. Denn entgegen der üblichen Trennung durchqueren sich hier mit dem künstlerischen Feld und dem Politaktivismus die Diskurse zweier marginaler gesellschaftlicher Bereiche. In einer optimistischen Leseweise können sie „zur Entstehung eines transversalen Kunst-Polit-Aktivismus Anlass geben, der die Grenzen und Beschränkungen der jeweiligen Szenen überwindet“ (autonome a.f.r.i.k.a. gruppe). Der Anspruch, als Avantgarde sozialer Erneuerung auf Weltniveau zu fungieren, ist damit auf ein sympathisches Maß zurechtgeschrumpft. JENS KASTNER

Gerald Raunig (Hg.): „Transversal. Kunst und Globalisierungskritik“.Verlag Turia + Kant, Wien 2003.215 Seiten, 22 €