Kinobetreiber und andere Rezessionsverlierer

Da geh ich baden

Es gibt nur noch Gewinner und Verlierer, sagte unlängst P., diplomierte Gartenbauingenieurin aus Schwerin. Die Ostfriesin hatte nach der Wende die Umweltbehörde der Stadt mit aufgebaut, Tankstellen in Trinkwasserschutzgebieten und Villen am See verhindert. Ihre dem Chef absichtlich nicht verheimlichte Schwangerschaft und die Weigerung, seine Tasche zu tragen, kosteten sie den Job. Zwischendurch durfte sie für eine undurchsichtige Berliner Developperklitsche mit Millionenaufträgen die Verteilung der Parkplatzbäume bei neuen Einkaufscentern im Osten planen. Dazu wurde sie manchmal Nachts um drei von einer Limousine abgeholt. Inzwischen hat der neue CDU-Bürgermeister das Umweltamt ersatzlos aufgelöst. P. hängt ohne Jobaussicht in Schwerin fest.

Auf dem Kanalbalkon des Kreuzberger Lokals „Ankerklause“ erzählte H. kürzlich, er ziehe demnächst wahrscheinlich „an die Grenze zu Tschechien“. Ein Mann am Nebentisch fragte, ob er im Mädchenhandel sei. Der diplomierte Philosoph H. hatte vor über zwei Jahren eine Umschulung zum Webseitenbastler vom Arbeitsamt bekommen, dann euphorisch als schlecht bezahlter Praktikant bei einem „alternativen“ Stadtmagazin gearbeitet und nach der sukzessiven Verkleinerung der Abteilung privat Webseiten designt. „In zwei Monaten kann ich meine Miete nicht mehr zahlen.“ Er will nun Pressesprecher einer Bassgitarrenfirma werden, die ihren Sitz unweit der bald ehemaligen EU-Grenze in Sachsen hat. „Wir schreiben uns jeden Tag zwei E-Mails.“ Mach das nicht, raten wir ihm, da gehst du ein.

Inzwischen ist ein Mitarbeiter (studierter Physiker) eines Kreuzberger Programmkinos aufgetaucht, der eigentlich happy sein müsste über den grandiosen Erfolg von „Bowling for Columbine“. „Aber jetzt sind wir fast schlechter dran als vorher.“ Das Kollektiv hatte schon gedacht, mal zwei Jahre in Ruhe wirtschaften zu können. Dann aber erhielt man einen Preis für hervorragendes Programm, der vom Finanzamt leider voll als Gewinn angerechnet wurde. Mit dem Geld hatte man teilweise Rechte für tolle, aber erfolglose kleine Filme eingekauft. Ausgaben werden leider über Jahre abgeschrieben, den ersten „Gewinn“ ihrer Geschichte seit 1988 müssen die Kinomacher sofort voll versteuern. „Hoffentlich kommt uns der Vermieter entgegen.“ Andere Kinos zahlen mittlerweile gar keine Miete mehr, sie werden in Einkaufscentern wie dem Neuköllner Forum, dessen Verluste die städtische Bankgesellschaft trägt, gehalten, weil die stufigen Betonhöhlen unvermietbar sind. Am Ku’damm, im Europacenter, ist ein Schachtel-Kinosaal des „Royal Palastes“ der insolventen UFA (jetzt Cinestar) gerade zum Swimmingpool eines Hotels umgebaut worden.

Das Kreuzberger Prinzenbad taugt auch nur noch beschränkt als Fluchtstätte für glückliche oder unglückliche Arbeitslose. Saisonkarten des Freibades hat man gestrichen. Begründung der längst von überbezahlten Wahnsinnigen geführten Bäderbetriebe (Werbespruch: „da geh ich baden“): Dauergäste kämen bis zu drei Mal am Tag, das verbrauche zu viel Wasser. Jeder Gast koste über 8 Euro, häufiges Duschen nicht mitgerechnet. Bei Protesten letzten Sommer verfolgte der Wachschutz Leute bis zum Wasser und verprügelte sie mit Polizeiunterstützung. Jetzt zahlt man vier Euro ohne Kind.

An kühleren Tagen ist der Bademeisterbetreuungsschlüssel besser als in Kitas. Die Einnahmen gehen gegen null, die fiktiven Ausgaben aber sinken doppelt so stark. Nur die realen Kosten für gelangweiltes Personal bleiben gleich. Unsere kleinen Araberlümmel aber werden nun persönlich am Eingang begrüßt. Wenn sie sich durch wenig Terror den Tag über rehabilitieren, dürfen sie abends Papiersammler sein. Mit dem Eimerchen in der Hand fragen sie „Hamm Sie Müüll?“ und bekommen eine Freikarte. Im hinteren Nackedeiwiesenbereich verweigern einige die Arbeit: „Aus Religion“, wie ein vielleicht Zehnjähriger letztens meinte.

ANDREAS BECKER