Wann wusste Bush was?

Hat der US-Präsident wissentlich oder aus Versehen gelogen, als er im Januar irakische Urankäufe in Niger anprangerte? Die Demokraten im US-Kongress wollen das jetzt untersuchen, aber zum Generalangriff auf die Regierung fehlt ihnen die Kraft

aus Washington MICHAEL STRECK

Die US-Regierung hat gelogen und es diesmal zugegeben. Die Behauptung, der Irak habe in Afrika Uran kaufen wollen, um Atombomben herzustellen, basierte auf gefälschten Informationen, räumte das Weiße Haus ein. Auch der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats gestand, man wisse nun, dass die Dokumente über einen Handel zwischen Irak und dem vermeintlichen Herkunftsland Niger gefälscht waren. Die Frage ist: Wusste das Weiße Haus davon, bevor US-Präsident George W. Bush die Behauptung in seiner Rede zur Lage der Nation Ende Januar wiederholte, oder erst später? Namentlich erwähnte Bush Niger nicht, das Land wurde jedoch später wiederholt von der US-Regierung beschuldigt, Bagdad mit radioaktivem Material zu versorgen.

Wie die New York Times am Mittwoch berichtet, hatten US-Diplomaten jedoch bereits eine Woche nach Bushs Rede die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) gewarnt, dass die USA die Hinweise über die Uran-Transaktion nicht bestätigen könnten. Die IAEA bezeichnete dann selbst im März, noch vor Beginn der Invasion im Irak, die Niger-Connection als falsch.

Auch der im letzten Jahr eigens zur Untersuchung ins westafrikanische Niger entsandte US-Botschafter J. C. Wilson funkte nach Washington, dass es sich wahrscheinlich um gefälschte Geheimdienstinformationen handelt, dass ein solcher Deal in Wirklichkeit schlicht unmöglich sei. Sein Bericht sei nie im Weißen Haus angekommen, verteidigten sich Regierungsbeamte. Andere sagen, er sei einer von hunderten von Papieren gewesen, die täglich so eintreffen, und niemandem weiter aufgefallen. Das ist entweder eine Notlüge – oder offenbart erhebliche Defizite in der Kommunikation zwischen Oval Office und CIA.

Bushs Behauptungen basieren im Wesentlichen auf Informationen eines umfangreichen US-Geheimdienstdossiers vom vergangenen Oktober, das regierungsintern als Rechtfertigungspapier für den Krieg diente und neben Niger auch die Länder Kongo und Somalia als Iraks Uranquellen nennt. Das jüngste Eingeständnis des Weißen Hauses untergräbt die Glaubwürdigkeit der Bush-Regierung in der Frage der Kriegslegitimation einmal mehr. Erneut muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, das irakische Bedrohungsszenario durch ABC-Waffen bewusst manipuliert zu haben. Deren angeblicher Besitz diente als offizielles Hauptargument für die USA und Großbritannien, gegen Bagdad in den Krieg zu ziehen. Bislang wurden allerdings keine Hinweise auf Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden.

Nachdem es die letzten Wochen in Washington etwas ruhiger um das Thema „Kriegslügen“ geworden war, tauchen die Fragen jetzt wieder auf. Hat die Bush-Regierung Kongress und Öffentlichkeit wissentlich hinters Licht geführt und Geheimdienstinformationen fabriziert, um Unterstützung für einen Angriff auf den Irak zu erhalten? Prompt fordern demokratische Kongressabgeordnete zum wiederholten Male eine gründliche Untersuchung der Vorgänge. Tom Daschle, Fraktionschef der Demokraten im Senat, sieht im Eingeständnis des Weißen Hauses die „Bestätigung, dass wir mit falschen Informationen versorgt wurden“. Doch dieser nicht besonders aggressive Ton vonseiten der Opposition dürfte auch diesmal die republikanische Mehrheit im Kongress wenig beeindrucken. Bislang sind alle Versuche der Demokraten gescheitert, öffentliche Untersuchungsausschüsse einzurichten. Lediglich hinter verschlossenen Türen müssen sich Regierungsvertreter und CIA-Agenten unangenehmen Fragen stellen.

Es verwundert, warum die Demokraten die neuen Enthüllungen nicht zum Frontalangriff auf die Bush-Regierung nutzen. Politische Munition gibt es genug, denn bislang haben sich alle Kriegsgründe als nicht haltbar erwiesen: keine ABC-Waffen-Funde, kein Atomprogramm und kein Uranhandel.

Doch die Demokraten sind im Wahlkampf mit sich selbst. Ihre Präsidentschaftskandidaten üben sich in Selbstzerfleischung anstatt Bush zu attackieren. Sie machen sie sich gegenseitig madig, versuchen die besseren Patrioten zu sein und geben nach außen hin das Bild eines zerstrittenen Haufens ab.