Beinahe jugendfrei

Robbie Williams ist noch immer ein Sexsymbol. Aber er spricht heute eher Twens als Teenies an, wie sich beim Auftritt in der Berliner Wuhlheide zeigte

von KERSTIN GRETHER

Rechtzeitig zu Robbie Williams’ ausverkaufter 5-Städte-Tournee verkündete der zuständige Bravo-Chefredakteur, der „Popflegel“ solle in Zukunft nicht mehr die Titelseite der Teenie-Zeitschrift zieren. Die Begründung: seine übermäßige Brustbehaarung, die Tattoos und die erotische Ausstrahlung! Weil die Kids von heute viel konservativer seien als oft angenommen.

Bei Robbie Williams’ Konzert in der Berliner Freilichtbühne Wuhlheide suchte man diese neuartige Teenager-Spezies allerdings vergebens. Stattdessen gingen gerade jene Plakate, die den tätowierten Body des glamourösen Entertainers zeigten, weg wie das warme Popcorn am Stand gegenüber. Schließlich ist er einer der wenigen männlichen Popstars, die geistreich sind UND zum Pin-up taugen. „Ihr seid doch alle in Robbie verliebt“, meckert ein älterer Herr und fährt mit seinem Motorrad in Richtung Ausgang. Na, klar: Der ehemalige Boygroup-Star geht auch nach zehnjähriger Karriere noch immer als Role Model durch, für Mädchen und für Jungs. Aber etwas ist schon dran am Urteil der Bravo. Wenn Robbie eine Zeitschrift wäre, sie würde sich heute eher an Twens als an Teens richten.

Dann steht der größte Exportschlager des englischen Pop auf der Bühne, umringt von einem Dutzend schwarz gekleideter Musiker. Und man fragt sich, wie dieses kleine Männchen im weißen Muskel-Shirt eigentlich ein ganzes Stadion in Stimmung bringen will? Noch ist es fast taghell, die Bühnenbeleuchtung spärlich, und auf Großleinwände wurde verzichtet. Auch die Hosen wird der Pop-Charmeur das ganze Konzert über nicht runterlassen. Sein Outfit-Wechsel wird sich darin erschöpfen, eine Sportjacke über sein Unterhemd zu ziehen.

Tanzen kann Robbie auch nicht so gut wie seine Kollegen aus der Ersten Pop-Liga. Eher wie ein Fußballspieler: Er dribbelt, er rennt, er hält noch immer nichts von Choreografie. Doch dann ruft er: „Guten Tag, Berlin. Das wird eine wunderbare Scheiße heute Abend“, und niemand will mehr sein Eintrittsgeld zurück.

Niemand kommuniziert auch nur annähernd so gut mit dem Publikum wie Robbie Williams. Und da die Massen sprachlos bleiben müssen, spricht er ihre geheimen Gedanken aus. „After the gig in the hotelroom, we do more than just talking“, scherzt er. Gemeinsam lacht man über das Star-und-Fan-Spiel. Dabei fällt auf, dass er netter geworden ist. Er gibt nicht mehr den arroganten Großkotz und tut alles, um die Distanz zu verringern, weil die Distanz größer geworden ist seit seinem berüchtigten 125-Mio-Euro-Plattenvertrag. Herzhaft kommentiert Robbie Spruchbänder oder das Verhalten der Fans, redet viel Deutsch und behauptet sogar: „Ich bin ein Berliner.“

Der Frauenschwarm versteht eben etwas von Gefühlspolitik, bringt die Leute abwechselnd zum Lachen und zum Schniefen. Seine Stadionrock-Chansons wie „A love supreme“, „Angels“ oder „Feel“ stehen in seltsamem Kontrast zu seinen lustigen Sprüchen. Fast alle handeln von Einsamkeit, strahlen würdevolle Verlorenheit aus. Und deshalb ist es nur logisch, dass man als Höhepunkt eines gelungenen Konzertes gemeinsam „Feel“ singt, diese wunderschöne, manisch-depressive Ode an die Lebenslust. Der Superstar hat sie denen gewidmet, die „in ihren Köpfen gerade schwere Zeiten durchmachen“. – „Das geht vorbei“, tröstet Robbie, „das Leben ist wunderschön.“ Glauben wir’s ihm mal.