Palästinenser im Hungerstreik

In Israel Inhaftierte fordern die Freilassung aller Gefangener. Die Regierung in Jerusalem will jedoch Gewalttäter hinter Schloss und Riegel halten. Der Konflikt um die Amnestie kann den internationalen Friedensplan zum Scheitern bringen

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Vor fünf Tagen sind die ersten palästinensischen Häftlinge im israelischen Gefängnis von Ashkelon in den Hungerstreik getreten. Inzwischen dehnte sich der Protest, der sich auch gegen die eigene Führung richtet, auf vier weitere Haftanstalten aus. Die Amnestie sei nicht verhandelbar, fordern die Inhaftierten, die sich nicht in „gute und böse Palästinenser“ einteilen lassen wollen. Sie verlangen die Entlassung aller Häftlinge, ungeachtet ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit. Laut israelischem Regierungsbeschluss sind indes Aktivisten der Hamas, des Islamischen Dschihad und der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) sowie alle, die „Blut an den Händen haben“, so die offizielle Version, von einer Amnestie ausgeschlossen.

Hamas und Dschihad gingen vor gut zwei Wochen als erste mit der „Hudna“ an die Öffentlichkeit, einer befristeten Feuerpause, die auch an die Bedingung geknüpft ist, die Aktivisten hinter Gittern auf freien Fuß zu setzen. Sollte das nicht passieren, würde der bewaffnete Widerstandskampf Ende September erneut aufgenommen werden. Hisham Abdul Rassek, palästinensischer Minister für Häftlingsangelegenheiten, fürchtet, dass der internationale Friedensplan („Roadmap“) schon in seiner ersten Phase an dem Konflikt über eine Amnestie scheitern könnte.

Die Israelis tun sich schwer bei dem Gedanken, militante Gegner zu entlassen. Zu den bekanntesten Exhäftlingen, die vorzeitig aus ihrer Haft entlassen wurden, gehört Jibril Rajoub, der in Jahr 1985 auf freien Fuß kam und dann umgehend den bewaffneten Kampf gegen Israel wieder aufnahm, bis er drei Jahre später ins Exil geschickt wurde. Ähnlich reagierte Scheich Achmad Jassin, Hamas-Mentor in Gaza, der seit seiner Entlassung bis zum Beginn der „Hudna“ seine Anhänger unverändert in den Märtyrertod hetzte.

Nur mit knapper Mehrheit ließ sich das Kabinett in Jerusalem darauf ein, zunächst 350 Häftlinge zu entlassen. Nach Ansicht von Transportminister Avigdor Lieberman, „wäre es besser, diese Gefangenen ins Tote Meer zu werfen, dem tiefsten Ort der Erde“. Eine Aussage, die Marwan Barghouti, Fatah-Chef im Westjordanland und wohl bekanntester Untersuchungshäftling, für seinen gestrigen Prozesstermin gerade recht kam, zeigt es doch, mit wem er es zu tun hat. Die Richter verlängerten seine Einzelhaft dennoch um weitere sechs Monate. Dies ist erstaunlich, da Barghouti eine entscheidene Rolle bei den Waffenstillstandsverhandlungen spielte, die er über seine Anwälte mit den Oppositionsgruppen führte. Issam Aruri, Chef des „Jerusalemer Zentrums für Rechtshilfe und Menschenrechte“, hält die Gerüchte über einen möglichen Austausch Barghoutis gegen einen in Ägypten wegen Spionage inhaftierten Israeli „für ernstzunehmen“. Die Entlassung des Fatah-Führers sei lediglich „eine Frage der Zeit“. Hinsichtlich der restlichen noch 5.892 Inhaftierten, hegt Aruri hingegen wenig Hoffnung. Die israelische Regierung „sabotiert den Friedensprozess“, indem sie eine Amnestie verzögere, meint er.

„Die Häftlinge sind Ergebnis des Konflikts nicht der Grund dafür und müssen entsprechend behandelt werden.“ Es sei zwar verständlich, dass Israel eine sofortige Generalamnestie ablehnt, dennoch könnten allein „aufgrund humanitärer Gesichtspunkte“ wie Haftzeit, Gesundheitszustand und Familiensituation Gesten gemacht werden. 351 der Gefangenen sind jünger als 18 Jahre, 75 sind Frauen und 433 wurden bereits vor der Unterzeichnung der Osloer Prinzipienerklärung 1993 verhaftet. „Beide Seiten müssen die Herzen des Gegners davon überzeugen, dass es neue Möglichkeiten gibt, dass eine neue Ära begonnen hat.“ Eine Amnestie würde den Palästinensern zeigen, „dass ihnen der Friedensprozess etwas bringt“.