Genüsse eines Außenseiters

Er betont, dass er ja etwas koste, dass er jetzt mehr verdiene als in seiner Zeit im Bundestag

von STEFAN KUZMANY

Es ist ein fröhlicher Blues, der da dudelt. Der Mann lässt ihn eine Weile laufen. Es dauert, bis er sein Mobiltelefon gefunden hat. Er zieht es aus der Tasche, und der Blues dudelt noch lauter, „Johnny B. Goode“ von Chuck Berry erfüllt den ganzen Raum. Eigentlich sollte doch jetzt die Lesung beginnen, hier im Literaturcafé „Eggers Landwehr“ in Berlin, die Leute warten, vielleicht 30 sind gekommen, um Oswald Metzger aus seinem Buch „Einspruch. Wider den organisierten Staatsbankrott“ lesen zu hören. Metzger sitzt schon auf der Bühne, aber er schaltet das Telefon nicht etwa verschämt ab. Er nimmt das Gespräch an. „Oswald Metzger. Ah, hallo, ja. Ja. Ich bin hier gerade bei einer Lesung. Ich rufe später zurück.“

Die Wirtschaft liegt danieder, neue Schulden sollen gemacht werden, doch Oswald Metzger geht es gut. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe. Meist sieht man ihn fröhlich. Metzger hat Sonderkonjunktur. Im letzten Bundestag war er noch haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, ein Sparer. Nun ist er nicht mehr im Parlament, sondern als reisender Verkünder seiner Vision von Sparpolitik im Land unterwegs, verkauft sein Buch, hält Vorträge, arbeitet in Gütersloh für die Bertelsmann-Stiftung an politischen Konzepten.

Auf dem Cottbuser Grünen-Parteitag Mitte Juni kam der Antrag Metzgers und anderer, das Sozialsystem noch stärker zu beschneiden als in der Agenda 2010 vorgesehen, auf ungefähr 30 Prozent. So eine große Minderheit kann niemand ignorieren, selbst der Vizekanzler nicht. Metzger nennt ihn Joseph Fischer, wenn er von ihm spricht. Und dieser Joseph Fischer hat sich dann also eine geschlagene halbe Stunde mit ihm unterhalten, vor den Kameras, das freut Oswald Metzger, als er es erzählt.

Es gibt Leute, die sagen, man müsse Ornithologe sein, um Oswald Metzger zu verstehen. Denn wie ein Männchen im Reich der Vögel sei er einer, der hauptsächlich davon profitiere, dass er lauter und anders singe als seine Konkurrenten. Nur so habe er bei den Grünen Karriere machen können: durch Unterscheidbarkeit. Metzger gilt als Neoliberaler – ein Wort, das er als Kampfbegriff ablehnt. Seine haushaltspolitische Botschaft: Wir können nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen. Und, die grüne Ökologie auf das Finanzwesen übertragend: Wir müssen unseren Staatshaushalt so führen, dass auch unsere Kinder noch etwas davon haben. Damit wieder mehr Geld in die Staatskasse kommt, plädiert Metzger für eine radikale Vereinfachung des Steuersystems, die Abschaffung sämtlicher Steuervergünstigungen und die einheitliche Besteuerung aller Einkommensarten mit einem Satz von 35 Prozent. Immer mal wieder wird ihm ein Wechsel zur FDP angedichtet. Ein böses Gerücht, denn es unterstellt eine Wandlungsfähigkeit, die man sonst nur von der liberalen Partei kennt: Als sei er einer, der eine beliebige Politik vertritt, Hauptsache, er bekommt Aufmerksamkeit dafür und einen Anteil an der Macht.

Vielleicht ist es aber auch einfach so: Oswald Metzger ist anders, behauptet seine Ansichten, spielt die Rolle des Unbeugsamen, weil er sich schon in früher Jugend für diese Rolle entscheiden musste. Metzger, geboren 1954 in der Schweiz, wuchs bei seinen Großeltern in der schwäbischen Kleinstadt Bad Schussenried auf. Die Mutter, Hotelangestellte in Buchs im Kanton St. Gallen, war als Alleinerziehende überfordert. In Briefen an die Großeltern drohte sie mit Selbstmord, sollten die Alten ihr nicht die Sorge um das Kleinkind abnehmen. Viel später, da hatten Metzgers Eltern jeweils Ehen geschlossen und Kinder gezeugt, da starb der Mann der Mutter und hinterließ ihr nur Schulden. Sie brachte sich um. Viel Stoff, sich das Maul zu zerreißen über einen jungen Mann in der schwäbischen Gemeinde. Doch der, schien es, fand Gefallen daran, unkonventionell und nonkonform zu sein. Metzger besuchte katholische Internate in Leutkirch und Ehingen. Dann trat er in einem Leserbrief für die Fristenlösung bei der Abtreibung ein – das Bischöfliche Konvikt strich ihm vorzeitig das Stipendium, Metzger machte Abitur in Ravensburg. Als 18-Jähriger kehrte er nach Bad Schussenried zurück, engagierte sich in der Jugendhausbewegung und gab eine politische Zeitung heraus. Metzger studierte in Tübingen Jura, machte aber keinen Abschluss, sondern eröffnete ein Schreibbüro. 1987 trat er den Grünen bei, 1994 zog er für sie in den Bundestag ein. Über haushaltspolitisch interessierte Kreise hinaus bekannt wurde Oswald Metzger im Jahr 2002 damit, dass er den ohnehin angeschlagenen Verteidigungsminister Rudolf Scharping in arge Bedrängnis brachte, als er nachdrücklich die Zustimmung des Parlaments zu einem europäischen Rüstungsgeschäft einforderte. Scharping hatte den Verbündeten in Verkennung seiner Kompetenzen den Einkauf von 73 Militärtransportern des Typs A400M zugesagt, obwohl im Haushalt nur Geld für 40 Transporter veranschlagt war.

Als die Grünen in Baden-Württemberg vor der letzten Bundestagswahl über die Listenaufstellung abstimmten, kandidierte Metzger gegen den damaligen Parteichef Fritz Kuhn um Platz zwei. Er wollte sich nicht unter Wert hergeben, wollte endlich als einer aus der ersten Reihe anerkannt werden. Metzger unterlag und zog sich verärgert zurück. In der freien Wirtschaft wollte er arbeiten, nicht vom Übergangsgeld leben. Jetzt ist Metzger wieder gefragt.

Die 73 Flugzeuge, das ist eines jener Themen, die Oswald Metzger nie zu erwähnen vergisst, wenn er vor Publikum spricht. Ein weiteres Dauerthema sind die Lehrer. Wiederkehrend weist er auf die besserwisserische Weltverbesserei der gut besoldeten und hervorragend altersversorgten Beamten hin, die „nach dem dritten Glas Rotwein“ die Revolution predigen. Die Lehrertirade kommt beim Publikum stets gut an.

Aus den größten Hits, den besten Ankommern hat Oswald Metzger den ersten Teil seines Buches gezimmert, „flapsig“ sei der, „ketzerisch und polemisch“, sagt er selbst darüber. Da zieht er so richtig vom Leder, auch gegen Parlamentarier. Prangert die Überversorgung der Bundestagsmitglieder an. Enthüllt die Eitelkeit derselben, wenn sie nach Sitzungen auf den Gängen um die Journalisten schleichen und sich vor die Kameras drängen wollen.

Diesen ersten Teil seines Buchs hat Metzger auf Anraten seines Lektors geschrieben, um die Leute an die zähe und unangenehme Thematik des Staatshaushalts heranzuführen. Damit sie sein Buch kaufen. Das Schreiben muss ein Teufelsritt gewesen sein. Kurz vor Weihnachten hatte er zugesagt, bis Ende Februar 250 Seiten vorzulegen.

Auf der kleinen Bühne des Eggers Landwehr sitzt jetzt auch Peter Kurth, der ehemalige Berliner Finanzsenator von der CDU. Er ist geladen worden, um mit Metzger über dessen Buch zu diskutieren. Dem Grünen war noch nie unangenehm, von Politikern anderer Parteien ernst genommen zu werden. Nun, im Licht der blauen kleinen Arri-Scheinwerfer in Berlin, schwitzt Metzger, und Kurth, der aussieht wie eine soft-konservative Ausgabe von Harald Schmidt, weist ihn auch noch darauf hin.

Manche sagen, er sei wie ein Männchen im Reich der Vögel, das profitiere, weil es anders und lauter singe

Metzger schwitzt weiter, als Kurth sein Buch kritisiert. Zuerst sieht es so aus, als watsche da ein CDU-Mann erwartungsgemäß einen Grünen ab. „Ihnen gelingen einige gute Formulierungen“ ist das Netteste, was Kurth an Lob aufbringt. Metzger hat die Arme verschränkt und wirkt ein wenig wie nach vorn an die Tafel geholt, ein Schüler, dessen Aufsatz der Lehrer auseinander nimmt. Erst als Kurth sich, da schon eher humorvoll, beschwert, dass der Autor an einer Stelle schreibe, „der Mann hat Recht, obwohl er amerikanischer Präsident war“, da entspannt sich Oswald Metzger sichtlich und lacht und freut sich wie ein Bub. Später wird er sagen, dass es ihn wundert, wie parteilich Kurth gesprochen habe. Metzger selbst sieht sich als Querdenker.

Wenn Oswald Metzger in einer Gruppe im Gespräch ist, aber die Zeit knapp wird und er vor dem Ende der Pause noch checken will, wie der Deutschleistungskurs da hinten seinen Einspruch wider den Lehrer gefunden hat, dann führt er einen lustigen kleinen Tanz auf. Er wippt zurück in Richtung seines neuen Ziels, wippt wieder zur alten Gesprächsrunde, dann Ausfallschritt nach hinten, nein, doch noch ein Bonmot, es wird gelacht, Metzger wippt wieder, jetzt hat er es geschafft, sich loszureißen, fast anderthalb Minuten hat es gedauert. Leutselig schweift Metzger durch den Raum, die Linke in der Tasche seines Anzugjacketts vergraben, in der rechten ein Weinglas, es ist aber Wasser drin. Der Leistungskurs fand seine Lehrkörperkritik selbstredend Klasse.

Einige Tage nach der Buchvorstellung in Berlin tritt er an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft auf. Metzger ist hier auf Einladung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft. Er dankt den Einladenden sehr herzlich und betont, dass er ja etwas koste, dass er jetzt mehr verdiene als in seiner Zeit als Parlamentarier. Das ist neben Scharping und Lehrern sein drittes Lieblingsthema. Er streift seine goldene Uhr vom Handgelenk, legt sie vor sich hin und legt los. Man müsse über den Tellerrand rausgucken. Den Leuten die Wahrheit sagen. Nicht Sand in die Augen streuen. Wir brauchen Licht am Ende des Tunnels. Geld fällt nicht vom Himmel. Oswald Metzger nickt sich selbst zu. Wer arbeiten kann, muss arbeiten. Wer länger lebt, muss mehr arbeiten. Herr Metzger, was hätten Sie getan, wenn Sie jetzt noch als Haushaltspolitiker im Bundestag wären? Würden Sie die neue Steuersenkungs- und Schuldenpolitik tragen? „Ich würde Amok laufen“, sagt Metzger und lacht. „Aber ich würde verlieren, das weiß ich.“

Die Wirtschaft liegt brach, neue Schulden werden gemacht, aber Oswald Metzger geht es ausgesprochen gut. Im Handelsblatt hat er eine Kolumne, und Fernsehmagazine möchten Statements von ihm. Im nächsten Bundestag will Oswald Metzger wieder dabei sein. Auch wenn es sich finanziell für ihn eigentlich nicht lohnt.