Bibliothekare fürchten Liberalisierungen à la Gats …

… reden aber darüber nur am Rande bei ihrem „Weltkongress Bibliothek und Information“. Kritische Wissensarbeiter rufen eigene Gats-Runde aus

BERLIN taz ■ Doch, auch Bibliotheken werden moderner. Zum Beispiel die Technische Informationsbibliothek (TIB) in Hannover. Die TIB ist eine Art Global Player. Sie beliefert weltweit Forscher mit Aufsätzen. Je schneller die Wissenschaftler die gedruckten Erkenntnisse bekommen wollen, desto mehr müssen sie zahlen. Die Lieferung der TIB, die im Haus der hannoverschen Uni-Bibliothek residiert, erfolgt elektronisch via Internet.

Jüngst herrschte helle Aufregung bei den Bibliothekaren. Es flatterte ein Schreiben von Anwälten ins Haus, das der TIB den weltweiten Vertrieb von Aufsätzen untersagen wollte. Die ersten kritischen Geister mutmaßten bereits, die neue Weltordnung für Dienstleistungen sei schuld: Der Servicekommissar der Welthandelsorganisation WTO klopfe an die knarzende Tür einer Bücherei in old Europe – und fordere das Ende des Kulturguts Wissen zugunsten eines profitorientierten Aufsatzlieferanten aus den USA.

Die Geschichte aus Hannover ist keine Utopie. „Es besteht die Gefahr, dass Privatunternehmen die Internetangebote öffentlicher Bibliotheken attackieren“, warnte gestern Ross Shimmon, der Generalsekretär des Bibliothekenweltverbandes, der „International Federation of Library Associations and Institutions“ (IFLA). „Das kann passieren, wenn man öffentliche Bibliotheken für die Kräfte des freien Marktes öffnet.“

Genau das will Gats (General Agreement on Trade in Services), vor dem sich nicht allein die Bibliotheksmitarbeiter in Hannover schrecken. Gats sind die Gespräche für liberalere Regeln des Handels mit Dienstleistungen, darunter solche für Gesundheit – und Bildung.

Die Gats-Verhandlungen, die die Handelsbeauftragten aus aller Welt führen, finden hinter verschlossenen Türen statt. Nicht einmal die Herren der Information, die Bibliothekare, wissen Bescheid, was Leute wie der EU-Handelskommissar Lamy oder US-Kollege Zoellick da aushecken. „Die Gats-Dossiers haben eine so komplizierte Sprache“, so Oberbibliothekar Shimmon, „man versteht nicht genau, was da auf uns zukommt.“

Shimmon war gar nicht nach Berlin gekommen, um zu jammern. Seine Berliner Kollegen sind die Gastgeber des Weltkongresses für Bibliothek und Information 2003. Rund 4.500 Büchereiangestellte wollen ab 1. August über die Wissensspaltung der Welt sprechen: Hier Kamelbibliotheken, dort die neueste „Do-it-yourself-Bibliothek“ (mitarbeiterfrei) in Singapur.

Die Weltbibliothekare haben eine Resolution zu Gats veröffentlicht. Bibliotheken seien „einzigartige soziale Einrichtungen […], die die Allgemeinheit mit einem möglichst breiten Spektrum an Informationen und Ideen vesorgen“. Bei ihrem Weltkongress aber gibt es gar keine Veranstaltung zu liberalisierten Bildungsdienstleistungen. Da müssen die politisch denkenden Wissensarbeiter schon zu „Akribie“ gegen – der „Arbeitskreis kritischer BibliothekarInnen“ veranstaltet eine Gats-Runde am Rande des Büchereikongresses.

Hannovers TIB übrigens hat inzwischen Entwarnung gegeben. Die Klage gegen die deutsche Powerbibliothek kam nicht von Konkurrenten, sondern von internationalen Verlagen. Sie wollen, dass die TIB die Urheberrrechte ihrer Autoren respektiert – und entlohnt. So will es der regulierte Welthandel. Ein Glück. CHRISTIAN FÜLLER

www.ifla.org. Gats-Runde: 7. August, 17.45 Uhr, Institut für Bibliothekswissenschaften, Dorotheenstr. 26, Berlin