Ein Nordkorea mitten in Europa

Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko schasst den Regierungschef und wirft zwei US-Organisationen aus dem Land. Hintergrund dieses Rundumschlags könnte ein Verfassungsreferendum sein, das ihm eine dritte Amtszeit ermöglichen soll

von BARBARA OERTEL

Weißrusslands autoritärer Staatschef Alexander Lukaschenko macht keine Sommerpause. Dafür verhilft er hochrangigen Regierungsmitgliedern zu vorfristiger Erholung auf der Datscha. So enthob Lukaschenko in der vergangenen Woche seinen Regierungschef Henadz Nawitski, den für Landwirtschaft zuständigen Vize-Regierungschef Alexander Papkow sowie Landwirtschaftminister Michail Rusy ihrer Posten. Offizieller Kommentar zum Rundumschlag: ausstehende Löhne und Zahlungen für Produkte an landwirtschaftliche Betriebe und Bauern, die nicht fristgerecht bis zum 1. Juli bezahlt worden seien.

Doch Sündenböcke für die Misere des 10-Millionen-Einwohner-Staates hat Lukaschenko auch längst woanders ausgemacht. Nachdem in den vergangenen Wochen zwei unabhängige Zeitungen für drei Monate per Erlass des Informationsministers geschlossen und der Korrespondent des russischen TV-Senders NTV des Landes verwiesen worden waren (taz v. 7. 7. 03), stehen mit International Research and Exchanges Board (Irex) und Internews Network auch zwei US-Nichtregierungsorganisationen auf der Abschussliste.

Irex hatte 1997 seine Arbeit in Weißrussland aufgenommen und seitdem rund 4,2 Millionen US-Dollar in die Aus- und Weiterbildung unabhängiger Journalisten investiert. Offensichtlich nicht ganz zur Zufriedenheit der Minsker Machthaber. So teilte das weissrussische Außenministerium Irex mit, dass die Akkreditierung, die am 7. August ausläuft, nicht verlängert werde und die Organisation von der Liste derjenigen US-Hilfsprogramme gestrichen sei, die mit Zustimmung der weißrussischen Regierung durchgeführt werden.

Zur Begründung hieß es, das staatliche Kontrollkomitee hätte bei einer Überprüfung Unregelmäßigkeiten festgestellt, im Klartext: Irex habe die Arbeit politischer oppositioneller Gruppen und Medien finanziert und sich damit in die inneren Angelegenheiten des weißrussischen Staates eingemischt.

Für Robert Ortega, Chef des Minsker Irex-Büros, kommt der Rausschmiss nicht unerwartet. „Diese Aktion passt in Lukaschenkos Anti-Medien-Strategie und ist eine klare Botschaft an die Medien, die noch versuchen, unabhängig zu berichten“, sagt er.

Doch die Hysterie des Staatschefs hat noch einen anderen Grund. Lukaschenko liebäugelt mit einer dritten Amtszeit, die ihm die Verfassung verbietet. So mehren sich Anzeichen, dass sich der Präsident per Referendum spätestens Anfang 2004 eine entsprechende Carte blanche verschaffen könnte. Das hatte bereits 1996 funktioniert, als Lukaschenko mit einem zweifelhaften Volksentscheid die Verfassung in wesentlichen Punkten aushebelte. „Mit dieser Säuberung bereitet Lukaschenko das Terrain für das Referendum vor, und da stören Kritiker“, sagt Elena Pankratowa, Journalistin bei Radio Free Europe. „Wahrscheinlich werden noch Pensionen und Sozialleistungen erhöht, die Lukaschenko aus der schwarzen Kasse bezahlt.“ Lukaschenkos Großzügigkeit käme nicht von umgefähr: Laut einer Umfrage vom April wollen nur 17 Prozent der Befragten derartigen Verfassungsänderungen zustimmen. Der Politologe Andrei Suzdalski vermutet hinter Lukaschenkos Manöver noch etwas anderes. „Sein taktisches Ziel ist, das Referendum zu gewinnen. Das strategische Ziel jedoch ist es, das Land zu einem feudalen Königreich zu machen, einer Art Nordkorea in der Mitte Europas.“