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: Jeder Kanon tut weh

Wie lässt sich Schülern Wissen und Kenntnis über den Film vermitteln? Das fragte die Bundeszentrale für politische Bildung im März beim Kongress „Schule macht Kino“. Nun hat die gleiche Institution ein Symposium zum Thema „Filmkanon“ veranstaltet, bei dem es galt, 25 Titel zu ermitteln, welche Schüler künftig kennen lernen sollten, wenn das Projekt einer fächerübergreifenden Filmerziehung in die Tat umgesetzt wird.

19 Experten tagten am Mittwoch in Berlin, darunter Regisseure wie Tom Tykwer, Andreas Dresen und Christian Petzold sowie Alfred Holighaus für die Berlinale, die Produzentin Uschi Reich und Erika Gregor von den Freunden der Deutschen Kinemathek.

Aus den 25 wurden 35 Titel, die Alfred Holighaus der Presse vorstellte, augenscheinlich erschöpft von den Diskussionen und den „Kampfabstimmungen“. Das Ergebnis (siehe „Unterm Strich“ auf dieser Seite) birgt eine solide Auswahl der Klassiker. In geringem Maße vertreten ist das Kino der Gegenwart; aus den 90er-Jahren stammen nur drei Filme, aus den 80er-Jahren fünf. „Wir wollten nicht die Kost anbieten, die ohnehin zu haben ist, wir wollen Türen öffnen“, sagte Andres Veiel dazu. Und Hans Helmut Prinzler, Direktor des Berliner Filmmuseums, ergänzte: Wichtig sei die Filmgeschichte, weil man mit ihrer Hilfe anschaulich machen könne, worauf sich viele aktuelle Regisseure noch heute bezögen.

Dabei ist allen Beteiligten klar, was Prinzler stellvertretend formulierte: „Ein solcher Kanon tut weh.“ Er ist fragwürdig, weil er zu viele Filme und zu viele Regisseure übergeht. Wo ist David Lynch? Wo Glauber Rocha als herausragender Vertreter eines außereuropäischen Kinoaufbruchs? Wo das B-Movie, das stellvertretend für alle anderen deutlich machte, was Exploitation bedeutet? Wo ist „Der weiße Hai“, der als erster Blockbuster der Filmgeschichte das Ende von New Hollywood markierte? Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Dass ein Kanon heute arbiträr geraten muss, gehört zu seinem Paradox: Er beansprucht allgemeine Gültigkeit, obwohl diese in ästhetischen Dingen natürlich nicht zu haben ist.

Aufheben lässt sich das Paradox, sobald die Auswahl als Werkzeug begriffen wird. Wenn ein Lehrer davon abweichen möchte, weil sein Herz nicht für „Goldrausch“, sondern für „Moderne Zeiten“ schlägt, muss das möglich sein. Schließlich wäre nichts kontraproduktiver als eine Filmerziehung, welche Jugendlichen die Freude am Film austreibt, indem sie Zwänge schafft. CRISTINA NORD