IN CHILE ARBEITET DIE JUSTIZ ENDLICH DEN FALL PINOCHET RICHTIG AUF
: Ein Sieg der Erzfeinde

Eine gute Nachricht: Ein chilenischer Richter wagt sich erneut an den Fall Augusto Pinochet und gibt einer Klage statt, mit der die Immunität des pensionierten Diktators aufgehoben werden soll. Damit geht das Verfahren in die zweite Runde. Und am Ende könnte Pinochet erneut als Angeklagter einen Gerichtssaal in Chile betreten, eventuell sogar verurteilt werden – nur so richtig vorstellen kann man es sich noch nicht. Denn: Im Jahr 2002 konnte er sich mit einer juristischen List aus dem Gerichtssaal stehlen. Sein Leibarzt hatte ihn im Jahr zuvor für geistig unzurechnungsfähig erklärt, die Klage musste eingestellt werden.

Aber Gerichtsurteile haben immer etwas mit den Machtverhältnissen zu tun. Als Pinochets Immunität in Chile im Jahr 2000 zum ersten Mal aufgehoben wurde, war Pinochet noch ein mächtiger Mann. Abgetretene wie aktive Generäle hörten auf seine Befehle, auf der Straße forderte die Oberschicht die Einstellung des Verfahrens.

Seither hat sich einiges geändert in Chile. Das Pinochet-Verfahren hat das Land aufgeweckt. In den Gerichten stapelten sich die Klagen gegen die Mörder der Diktatur. Bevor Pinochet auf der Anklagebank saß, waren die Militärs unantastbar. Das lag nicht nur an dem von ihm selbst geschriebenen Amnestiegesetz. Auch herrschte in der chilenischen Gesellschaft eine Stimmung vor, die Pinochet und seine Kameraden unantastbar machte. Erst als der einstige Diktator zum Angeklagten wurde, fiel dieses Tabu.

Seitdem wurden Geheimdienstmitarbeiter und Militärs verurteilt, zahlreiche Verfahren laufen noch. Und vor zwei Wochen verlasen acht Generäle ohne Pinochets Zustimmung ein schwaches „Mea culpa“ für ihre früheren Taten. In dieser veränderten Stimmungslage ist es konsequent, dass Pinochets Immunität erneut verhandelt wird. Das war vor einem Jahr noch undenkbar. Ebenso undenkbar war, dass ausgerechnet seine Erzfeinde, die Kommunisten, mit einer Klage gegen ihn durchkommen. Das muss den Unverbesserlichen unglaublich wütend gemacht haben – macht die ganze Sache aber umso schöner. INGO MALCHER