„Sand ins Auge gestreut“

Die fetten Jahre haben Deutschlands Verleger satt und bequem gemacht, meint „Netzeitung“-Chef Michael Maier. Noch immer wird darauf gewartet, dass die Probleme von selbst verschwinden. Ein Gespräch über Medienkrisen und papierlose Zeitungen

Sein Büro ist von sympathischer Unaufgeräumtheit. Im Schrank liegt ein Leitzordner, „Sales“ steht drauf. Ist offenbar sogar was drin. Gar nicht selbstverständlich in diesen krisengebeutelten Medienzeiten. Doch um genau die soll es gehen: Michael Maier war Chefredakteur bei der „Presse“ in Wien, der „Berliner Zeitung“ und beim „Stern“. Seit drei Jahren macht er jetzt die „Netzeitung“, Deutschlands erste und einzige Tageszeitung, die nur im Internet erscheint. Maier ist vom Erfolg überzeugt: Seit Bertelsmann im März ausstieg, gehört das „Blatt“ dem Wirtschaftsjournalisten Rolf-Dieter Brunowsky – und Michael Maier selbst.

taz: Herr Maier, hat Sie das Ausmaß der gegenwärtigen Zeitungskrise überrascht?

Michael Maier: Ach, das Ausmaß. Mich hat eher überrascht, wie unvorbereitet viele Verlagshäuser da reingegangen sind. Und heute immer noch den Eindruck erwecken, dass die Probleme von selbst wieder verschwinden. Wir haben in Deutschland ein Kulturproblem, das gerade in Krisenzeiten zu beobachten ist: Die Zukunft wird als vorübergehendes Phänomen betrachtet.

Hätte man es denn wissen können – oder gar müssen?

Der Aufschwung durch den Werbeboom hat eher dazu geführt, den Medien Sand in die Augen zu streuen. Alle haben doch gesagt: Mag schon sein, dass das mit dem Geldverdienen im Internet problematisch wird, aber solange wir an der Werbung der Dotcoms so gut verdienen – was soll uns das kümmern?

Wie fühlt man sich denn nun als reine Online-Zeitung in der Zeitungskrise? Völlig losgelöst?

Überhaupt nicht. Natürlich macht die allgemeine Werbekrise auch uns zu schaffen. Das ist momentan schon ein hartes Brot, Anzeigen an Land zu ziehen. Auch für uns wär es hilfreich, wenn sich der Werbemarkt erholt. Im positiven Sinne sind wir aber von der Krise betroffen, weil jetzt zahlreiche Zeitungen auf uns zugehen und sich interessieren: Wie macht ihr das? – Die haben schon aus ihren Fehlern gelernt. Da bahnt sich jetzt die eine oder andere interessante Kooperation an, die in den fetten Jahren so nicht möglich gewesen wäre.

Was ist es denn nun: eine Konjunkturkrise, wie viele jammern. Oder doch eine Strukturkrise?

Ich glaube, die Strukturkrise der Zeitungen ist durch die Konjunkturkrise noch beschleunigt und deutlich sichtbar geworden. Wenn man mit den Verlegern außerhalb der Sonntagsreden spricht, sieht das auch jeder so. Die Grundfrage ist aber doch: Wie reagiert man denn nun?

Reagieren Sie doch mal.

Na ja – reagiert man durch reines Kostenschrubben? – Das machen die Amerikaner seit 25 Jahren. Was die aber auch machen: Sie investieren, um neue Felder zu erschließen, die künftig auch wieder Umsätze bringen.

Wo sind die denn? Für die klassischen überregionalen Blätter kann das ja kaum mehr wie früher der Stellenmarkt sein.

Bei den Überregionalen waren die Stellenanzeigen in erster Linie Imageanzeigen. Die großen Personalberater haben doch wirklich wichtige Jobs gar nicht per Anzeige in die Zeitung gebracht. Für die war wichtig, als Marke in der FAZ zu stehen. Aber das Erste, was man nicht mehr macht, wenn’s einem schlecht geht, sind Image-Anzeigen.

Und die „echten“ Stellenanzeigen gehen ans Internet?

Ja, da sind sie doch viel besser aufgehoben. Es ist doch völlig logisch, dass man mit einer Suchmaschine, die das gesamte Internet-Angebot durchsucht, bessere und ausführlichere Angebote findet, als wenn man alle Zeitungen durchblättert.

Der Rückgang im Anzeigengeschäft ist also an allem schuld?

Nein. Zusätzlich erfolgt gerade jetzt ein Generationswechsel bei den Verlegern. Das führt natürlich zu Problemen und Reibereien. Wenn Sie sich die Süddeutsche Zeitung anschauen: Da haben die Eigentümer über Jahrzehnte die Gewinne aus der Zeitung herausgezogen. Jetzt ist nichts mehr da, die Gesellschafter interessieren sich nicht mehr wirklich für das Produkt – da verändert sich dann schnell auch die Eigentümerstruktur.

Der Generationswechsel wäre aber doch so oder so gekommen.

Ja, aber so ein Wechsel der Verleger ist in einer Zeit, wo alles gut läuft, doch viel leichter zu vollziehen, als wenn’s auf einmal Verluste gibt.

Die „Netzeitung“ bietet jetzt auch einen Online-Stellenmarkt an, der mehrere Jobbörsen verknüpft. Nur kam der reichlich spät.

Weil wir eine komplette Lösung wollten. Für uns war wichtig, dass das Arbeitsamt dabei ist: Die haben die meisten Stellen, nur mit denen hat das einen Sinn. Und wenn Sie das Arbeitsamt kennen, wissen Sie, dass es da viele innovativ denkende Menschen gibt, aber eben auch viele Schwierigkeiten. So was dauert eben.

Heißt Ihr Dienst jetzt also bald „Stellenmarkt“ statt „Netzeitung“?

In aller Bescheidenheit: Wir haben aus der „Netzeitung“ eine Marke gemacht. Wir hatten im Monat März 700.000 unique visitors, also Leser. Und wenn die Zeiten besser werden und dann mal wieder Geld für Marketing da ist, haben wir noch ein enormes Potenzial. Wir sind ganz gewiss eine kleinere Marke als „Spiegel Online“, haben aber den Vorteil, eng mit dem Internet verbunden zu sein.

Andere Blätter wie die schon erwähnte Süddeutsche haben ihre Online-Präsenz eingedampft. Es wird für Sie also leichter …

Wir haben im Nachrichtenbereich erhebliche Konkurrenz, aber nicht aus den klassischen Zeitungshäusern. Es sind vielmehr Unternehmen wie die Telekom, Yahoo! und Special Interest Sites, die alle Nachrichten machen.

Und dass sich die Zeitungen zurückziehen …

… ist völlig falsch, weil es das Leseverhalten der jungen Leute ignoriert. Und es ist auch gefährlich: Denn so wachsen viele mit Chats und Community Sites auf, wo ihnen dauernd Pseudonachrichten präsentiert werden. Das prägt die gesamte Bewertung von Nachrichten, Motto: Wenn ich alles über Britney Spears weiß, bin ich informiert.

Kommen wir zu den Blättern, die immer noch auf Papier drucken: Wie viele bleiben denn im Berliner Markt übrig?

Ich kann nicht voraussagen, was in Berlin passiert. Es hat ja auch niemand geahnt, dass Wirtschaftsminister Clement sagt: „Verkaufen Sie den Tagesspiegel!“ Ich glaube, da gibt’s noch immer Spielräume für diverse Finten.

Auch in Sachen Medienpolitik? Da rennen ja derzeit die Verleger mächtig gegen die Regeln im Kartellrecht an, die zu große Presse-Konzentration verhindern sollen.

Es ist ja kein Wunder, dass die Kartelldebatte sowohl von eher SPD-nahen Medien als auch von Springer geführt wird. Da haben Sie im Prinzip jetzt schon eine große Koalition. Und die sagt: Jetzt bereinigen wir das mal unter uns. So kommen da aber garantiert keine neuen Kräfte in den Markt rein. Und das finde ich für die Pressefreiheit eigentlich nicht attraktiv.

INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG