„Ich bin eher menschenscheu“

Inka Parei

„Für mich ist ein Berlinroman vor allem eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt, davon gab es doch kaum welche“„Manchmal finde ich es störend, ein Buch zu mögen und dann durch Porträts oder Interviews die Schriftsteller oder Schriftstellerinnen besser kennen zu lernen“

Nachdem Inka Parei beim diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt gelesen hatte, ging ein großes Aufatmen durch Jury und Publikum: Endlich mal ein wirklich guter Text, ein eindringlicher, genauer und nachhaltiger. Einhellig war das Lob der Jury, die Parei einen Tag später dann auch gleich im ersten Wahlgang zur Siegerin kürte. Schon 1999 aber machte die 36-Jährige, in Frankfurt am Main geborene und seit 1987 in Berlin lebende Inka Parei auf sich aufmerksam, als sie mit dem Berlinroman „Die Schattenboxerin“ ihr Debüt vorlegte. Ihr neuer Roman, aus dem sie in Klagenfurt das erste Kapitel las und der noch keinen Titel trägt, soll im Herbst 2004 erscheinen.

Interview GERRIT BARTELS

taz: Frau Parei, wie geht es Ihnen als frisch gebackener Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin? Haben Sie jetzt den Eindruck von einem Leben vor Klagenfurt und einem danach?

Inka Parei: Nein, überhaupt nicht. Ich bin mit einem relativ nüchternen Grundgefühl in den Wettbewerb hineingegangen und habe Klagenfurt mit einem ähnlich nüchternen Grundgefühl verlassen. Ich wollte das alles von vorn herein nicht allzu nah an mich herankommen lassen, da ich ja mit meinem neuen Buch erst zu zwei Dritteln fertig bin. Insofern habe ich dann selbst den Gewinn des Bachmann-Preises und das viele Lob schnell wieder von mir abtropfen lassen. Das ist allerdings auch so eine Haltung von mir, mit solchen Sachen umzugehen.

Gefreut haben Sie sich aber schon?

Ja klar, da kam bei mir schon nach meiner Lesung eine gewisse Begeisterung auf ob der positiven Kritikerresonanz auf meinen Text.

Da war eigentlich schon allen klar, dass niemand anders als Sie den Wettbewerb gewinnen konnten.

Ich habe das nach meiner Lesung auch verschiedentlich gehört. Wichtig aber war mir viel mehr, dass nicht nur geurteilt, sondern die Kritik auch begründet wird, sodass man selbst etwas mitnehmen kann. Kritik ist ja immer eine Spiegelung der eigenen Arbeit.

Umso besser, wenn sie positiv ausfällt.

Sicher. Ich gehe an meine Texte in der Regel mit einer skeptischen Einstellung und großen Selbstzweifeln heran und fand das Lob sehr motivierend. Ich habe jetzt das Gefühl: Das lohnt sich, das gelingt wohl mit dem neuen Buch.

In diesem geht es um einen alten Mann, der sich zum Ende seines Lebens in einer neuen Umgebung zurechtfinden finden muss und der sich auf den Tod vorbereitet. Die Jury in Klagenfurt lobte insbesondere, wie sehr Sie sich in das Innenleben des alten Mannes hineinversetzt haben, wie eindringlich Sie als junge Frau seine Wahrnehmungen schildern können. Wie sind Sie da vorgegangen?

Am Anfang war das schon sehr schwer. Ich hatte da auch meine Zweifel, ob es überhaupt möglich ist, eine Person, mit der man von den Lebensumständen her, dem Alter und eben auch dem Geschlecht so wenig zu tun hat, in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen. Doch macht das ja gerade den Reiz dieser Geschichte und überhaupt des Schreibens aus. Es ist interessant, Parallelen zu ziehen, auch Gemeinsamkeiten zu finden, darüber nachzudenken, wie sich Lebensphasen gleichen oder auch nicht, um sodann die Person mehr und mehr an sich herankommen zu lassen. Über existenzielle Dinge muss man ja eigentlich in jeder Phase des Lebens nachdenken. Bei mir ist es beim Schreiben so, dass ich nicht nur über Dinge schreibe, die ich zu kennen meine, sondern auch über solche, die ich erst durch das Schreiben erfahre.

War das auch bei Ihrem ersten Buch, „Die Schattenboxerin“, so? Das ist seinerzeit vor allem als Berlinroman von einer in Berlin lebenden Debütantin rezipiert und gefeiert worden.

Das hat mich damals sehr überrascht. Meiner Ansicht nach ist „Die Schattenboxerin“ primär gar kein Berlinroman. Auch mit diesem Buch war mir die Wahrnehmung und das Innenleben der weiblichen Hauptfigur viel wichtiger, ihr sturer Blick auf die Umgebung, der Ausdruck ihres psychischen Zustands.

Trotzdem spielt Berlin eine große Rolle. Die Hauptfigur ist viel unterwegs: Sie wohnt in Mitte, erinnert sich an den 1. Mai 1989, an dem sie in Kreuzberg und Neukölln unterwegs ist, und oft landen sie und andere Figuren des Romans in randständigen Berliner Bezirken wie Treptow, Schöneweide und Lübars.

Natürlich war das Buch auch eine Auseinandersetzung mit der Stadt. Seine Wurzeln aber liegen in der Figur und ihrer psychogeografischen Ausstattung.

Aber wirklich überrascht konnten Sie doch nicht sein über die Rezeption des Buches. Gerade damals, als auch Judith Hermann ihr erstes Buch veröffentlicht hatte und der Hype um Berlinromane am allergrößten war?

Nein, das stimmt schon. Mich hat dann auch gefreut, dass zumindest ein paar Kritiker erkannt haben, dass in dem Buch vor allem die Randbezirke vorkamen. Das war mir schon wichtig, denn die kamen zu der Zeit eher zu kurz. Da ging es immer nur um Mitte und nichts anderes. Aber ich hatte das Gefühl, dass gerade in Berlin viele Kritiker auch auf Berlin fixiert sind und sich dann das Berlinroman- oder Hauptstadtromanmäßige zurechtgelesen haben.

Sozusagen als sich selbst erfüllende Prophezeiungen?

Ja, vielleicht. Ich fand aber nicht, dass es damals eine Berlinroman-Schwemme gab. Für mich ist ein Berlinroman vor allem eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt, davon gab es doch kaum welche. Nur weil ein Buch seinen Schauplatz in Berlin hat, ist es ja noch lange kein Berlinroman. In meinem Fall ist es so gewesen, dass ich, lange bevor es diesen Trend gab, an der „Schattenboxerin“ gearbeitet habe. Und dann ist es natürlich auch wieder so, dass man oft erst später feststellt, was sich beim Schreiben eines Buches noch so für Motive mit eingeschlichen haben.

Mit Ihrem neuen Buch dürften Sie da erst mal kein Problem haben, dessen Schauplatz ist der Frankfurter Stadtteil Rödelheim.

Es gibt bei mir so eine Achse Frankfurt–Berlin, die bei mir biografisch eine Rolle spielt und in den Romanen auftaucht. Ich habe in Rödelheim als kleines Kind gelebt und es dann erst als Erwachsene wieder gesehen. Doch das neue Buch ist auch nicht so an den Ort gebunden wie das erste: Der alte Mann lebt sehr zurückgezogen, er kann sich nicht mehr so gut fortbewegen. Er nimmt die Dinge vor allem aus seiner unmittelbarsten Umgebung wahr.

Wann sind Sie denn nach Berlin gekommen?

Das war 1987. Ich wollte unbedingt weg aus Hessen und bin dann hierher zum Studieren gekommen.

In der „Schattenboxerin“ heißt es einmal, gerade die Leute aus der Provinz würden am härtesten mit ihrer alten Heimat ins Gericht gehen. Großstädter wären da nicht so. War das bei Ihnen auch so?

Bestimmt. Ich war eine ganz klassische Neuwestberlinerin mit einer ziemlichen Aversion gegen die Provinz. Allerdings habe ich in Berlin mehrere Jahre gebraucht, um mich heimisch zu fühlen. Die Teilung der Stadt, die hat mich nicht kalt gelassen, dieses Gespaltene, hier West, dort Ost, wo man nur unter großen bürokratischen Schwierigkeiten hinkonnte. Mich haben die Leute immer irritiert, die das so ohne weiteres ausblenden konnten. Hätte es die Wende nicht gegeben, wäre ich wahrscheinlich nicht mehr so lange geblieben.

Wie haben Sie die Wende und die Zeit danach für sich erlebt?

Ich habe vor allem hier am Zionskirchplatz, wo ich seit 1992 wohne, gemerkt, wie sich das Viertel rasant verändert hat. Die ganzen Sanierungen, der Bevölkerungsaustausch, der damit einherging, das empfand ich als sehr problematisch. Inzwischen bin ich aber sehr verwurzelt mit der Gegend – mein Sohn ist hier in den Kindergarten und in die Grundschule gegangen, und einige meiner Freunde wohnen hier, da fühlt man sich trotz Gentrifizierung heimisch.

Wie sind Sie dann zum Schreiben gekommen?

Ich habe lange Jahre studiert, ohne zu einem Abschluss zu kommen, und kam dann an den Punkt, an dem ich gemerkt habe: Ich muss das mit dem Schreiben wenigstens ausprobieren. Ich hatte mich verheddert mit meinen Lebensentwürfen, trug mich aber schon lange mit dem Gedanken, zu schreiben. Also habe ich mich hingesetzt und gesagt: Schau halt, was dabei rauskommt.

Also ohne Netz und doppelten Boden?

Es gibt ja Leute, die machen das nebenher, die haben eigentlich einen ganz anderen Beruf, aber das könnte ich nicht. Ich muss alles andere wegschieben und mich direkt damit konfrontieren.

Können Sie vom Schreiben leben?

Nachdem die „Schattenboxerin“ herausgekommen war, ging es in bescheidenem Umfang. Das Buch lief ganz gut, wurde in einige andere Sprachen übersetzt, und eine Taschenbuchausgabe gibt es inzwischen auch. Dazu kommt immer mal ein Stipendium, das geht schon. Aber genauere Gedanken möchte man sich nicht über seine ökonomische Zukunft machen. Das halte ich gerade auch jetzt von mir weg, wo ich sehr intensiv am neuen Buch arbeite.

Ihren Bekanntheitsgrad hat der Preis jedoch mit Sicherheit erhöht.

Ja, aber ich merke, dass ich noch lange keine wirkliche Haltung dazu gefunden habe, plötzlich so sehr für die Öffentlichkeit interessant zu sein. Ich kann nämlich nur schwer verstehen, warum der Mensch hinter dem Buch so interessant sein soll.

Sind Sie selbst viel in Berlin unterwegs? Die Stadt gilt inzwischen als Literaturhauptstadt, in der man auf Schritt und Tritt Schriftsteller trifft.

Ich bin eher menschenscheu und gehe überhaupt nicht gern zu Lesungen. Für mich sind die Bücher wichtig, die Personen dahinter interessieren mich nur, wenn ich sie in einem ganz anderen Kontext auf gemeinsamen Treffen kennen lerne, so wie jetzt in Klagenfurt. Manchmal finde ich es sogar störend, ein Buch zu mögen und dann plötzlich durch Porträts oder Interviews die Schriftsteller oder Schriftstellerinnen besser kennen zu lernen.

Was sich aber auch in Ihrem Fall, gerade vor dem Hintergrund eines erfolgreichen Debüts und Klagenfurts, nicht unbedingt umgehen lässt.

Wie gesagt: Ich befinde mich da noch in einem Prozess. Es gibt jedoch ganz sicher Grenzen. Neulich bin ich gefragt worden, ob ich jetzt in Talkshows eingeladen werde – so was würde ich nie machen. Da würde ich mich immer fragen: Kann ich mich wirklich verständlich machen? Kann ich wirklich das transportieren, was mir wichtig ist? Und muss ich zu allem was sagen?