Alle kratzen am Sockel

Die BBC muss sich wegen ihres Umgangs mit dem Fall Kelly heftiger Kritik erwehren. Vor allem Privatsender haben da noch weitere Hintergedanken

von STEFFEN GRIMBERG

Wenigstens für die Sun ist die Lage klar: Das BBC-News-Department gleiche nicht erst seit der Affäre um David Kelly einem Scherbenhaufen und brauche eine Generalüberholung, schreibt die Zeitung. Schlimmer noch: Die BBC-Führung habe tatenlos mit angesehen, wie die respektierte öffentlich-rechtliche Anstalt zur „Propagandamaschine“ verkam, deren Programme von „Kriegsgegnern gekidnappt“ worden seien. „Eine tief gehende Kulturrevolution muss jetzt in Angriff genommen werden“, fordert das Kampfblatt, das sei man schließlich „dem britischen Steuerzahler schuldig“.

Nun wird die BBC (British Broadcasting Corporation) gar nicht aus Steuereinnahmen, sondern wie in Deutschland aus einer Rundfunkgebühr finanziert. Aber solche Details stören nur, will man die Stoßrichtung dieser Aufarbeitung der komplexen Geschichte über einen Krieg und dessen Begründung nicht schwächen. Denn die Sun gehört zum Medienimperium des Rupert Murdoch. Und der Australobrite mit US-Pass hatte seinen Medien in aller Welt eine klare Haltung zum Irakkrieg auf den Weg gegeben: In Treue fest mit den USA.

Doch das ist nur ein Aspekt. Ein anderer hat weniger mit Patriotismus als mit Profit zu tun: Großbritannien soll nach dem Willen der Labour-Regierung im Herbst ein neues Mediengesetz bekommen, das den bislang vergleichsweise streng geregelten Markt von Presse, Funk und Fernsehen deutlich liberalisiert. Und gleichzeitig, so hoffen wenigstens private TV-Anbieter wie Murdoch, die ihnen viel zu mächtig gewordene BBC in klare Schranken weist.

Denn während die Privatsender an der Werbekrise kränkeln und die Einschaltquoten zurückgehen, hat die früher gern als Auntie, als alte Tante bespöttelte BBC unter dem charismatischen Generaldirektor Greg Dyke zu einem ungeahnten Höhenflug angesetzt. Der Mann kommt eben vom privaten Fernsehen und versteht das Handwerk.

Und so arbeitet auch Murdochs Times kräftig mit an der Demontage der BBC. Von ersten „Rissen“ in der bisher einheitlichen Haltung der BBC-Führung und ihres Aufsichtsgremiums, des Board of Governors, berichtete das Blatt gestern. Einer der fünf Governors habe „schwere Bedenken“ über die Art und Weise geäußert, wie der Fall Kelly in der vergangenen Woche dem Board präsentiert worden sei, und verlange mindestens eine Sondersitzung des obersten BBC-Gremiums. Auch zwischen Generaldirektor Greg Dyke, zugleich oberster Chefredakteur der Corporation, und dem Vorsitzenden des Board of Governors, Gavyn Davies, soll es Unstimmigkeiten geben, berichtet das Blatt. Am Sonntag hatte die BBC in einer knappen Erklärung bestätigt, dass der Waffenexperte Kelly tatsächlich die Hauptquelle für BBC-Berichte war, die der Blair-Regierung vorwarfen, Geheimdiensteinschätzungen über die Einsatzfähigkeit irakischer Massenvernichtungswaffen manipuliert zu haben. Erst der fünfte Entwurf dieses Statements, so die Times, fand die Gnade aller BBC-Granden. Vor allem Davies habe zuvor jegliche Kompromisslinie verweigert und sich damit auch gegen Dyke durchgesetzt.

Auch andere britische Zeitungen kritisieren das Verhalten der BBC im Fall Kelly hart, lassen aber vielfach einen Aspekt einfach aus: Dyke wie Davies sind Labour-Anhänger. Vor seiner Wahl zum Generaldirektor im Jahr 2000 hatte Dyke Tony Blair und dessen New-Labour-Konzept massiv finanziell unterstützt. Davies Frau arbeitet bis heute im Umfeld von Schatzkanzler Gordon Brown. „Die beiden sind quasi im Labour-Lager eingebettet“, spöttelt ein britischer Medienjournalist. Natürlich habe dies den Konflikt mit der Regierung befeuert: „Nichts wäre für die BBC-Führung schädlicher gewesen als der Eindruck, Blair oder dem Verteidigungsministerium entgegenzukommen oder gar klein beizugeben.“ Ein Generaldirektor mit bekannten parteipolitischen Neigungen müsse seine Unabhängigkeit viel stärker unter Beweis stellen.

Genützt hat das nicht viel. Laut einer Umfrage unmittelbar nach dem Selbstmord des Waffenexperten und noch vor der BBC-Bestätigung in Sachen Kelly bewerteten 35 Prozent der Befragten die Berichterstattung der Corporation als weniger glaubwürdig als vor Beginn der Schlammschlacht, berichtet die britische Nachrichtenagentur Press Association. Auch in der voraussichtlich bis in den September dauernden Hutton-Untersuchung dürfte die BBC nicht ohne Kritik davonkommen.

Andrew Gilligan, dessen knapp dreiminütiger Bericht für die Radiosendung „Today“ Ende Mai die ganze Geschichte ins Rollen brachte, ist vorerst nicht mehr auf Sendung. Er solle sich in Ruhe auf seine Aussagen vor Lordrichter Hutton vorbereiten, heißt es offiziell. Gleichzeitig berichtete gestern der Guardian, dass sich Gilligan nicht nur einmal, wie bisher angenommen, mit Kelly traf. Die beiden sollen bei einem weiteren Termin abgesprochen haben, welche Informationen Eingang in den „Today“-Bericht finden sollten. Details wie diese werden weiter spärlich tröpfeln.