Der große Mthethwa-Klan

Das Amsterdamer Tropenmuseum zeigt mit der Schau „Group Portraits South Africa“ die Geschichte von neun Familien unterschiedlicher Hautfarbe samt Kritik an der eigenen kolonialen Vergangenheit

Die Gitarre ist schäbig, doch Ouondodkule hält sie stolz in die Kamera, denn mit ihr bringt der junge Mann die so widersprüchliche Geschichte des großen Mthethwa-Klans zum Klingen. Als eines von fünfzehn Kindern wurde er 1979 an der Ostküste Südafrikas geboren. Schnappschüsse zeigen den Alltag, den Vater, einen Busfahrer in Durban, bei einer Fahrt im Regen, das Match-Box-Haus am Stadtrand, in dem Ouondodkule lebt. Weiter als sein Vater brachte es der Großvater, auf den er viel hält, verkörpert er doch das Gedächtnis vieler Generationen und ist ein „Isangoma“.

Der heute wahrscheinlich berühmteste traditionelle Heiler Südafrikas praktiziert im Dorf Gilubuhle. Flackernde Filmbilder zeigen ihn dort, ein Leopardenfell umgehängt, den Kopf einer Giftschlange zwischen den Zähnen – ein Macht demonstrierender Ritus. Der vierundachtzigjährige Zizwezonke besann sich einst seiner Wurzeln und der Vorväter, etwa Mashwilis, des bedeutenden Führers der Zulurebellion gegen Kolonialherrschaft und Christianisierung im Jahre 1906: „Ich wurde jedes Mal krank, wenn ich in die Kirche ging. Mein Vater gab alle Mthethwa-Bräuche auf, heiratete nur eine Frau und arbeitete als Diener für die Weißen.“

Ouondodkule ist jedes Jahr da, wenn Zizwezonke der Ahnen gedenkt. Er hilft ihm auch die heilenden Kräuter zu sammeln, denn der Klientenstrom aus ganz Südafrika zu Zizwezonkes Tür reißt nie ab. Wollte Ouondodkules Vater nur eines, in dem von Gewalt und Apartheid zerrissenen Land überleben, und brach daher mit den Traditionen, so sucht Ouondodkule, wie schon sein Großvater, aber auf eigene Art, die aufgerissene Kluft zwischen den Generationen zu überwinden: Herkunft soll wieder Zukunft haben in einer aus Altem und Neuem kritisch geformten Identität.

Die Geschichte der Mthethwas ist nur eine von neun komplexen, ganz unterschiedlichen Geschichten schwarzer, „farbiger“ und weißer Familien, die die Ausstellung „Group Portraits South Africa. Nine Family Stories“ im Amsterdamer Tropenmuseum plastisch erfahrbar macht. Der Besucher unternimmt neun Zeitreisen in mehr als ein Jahrhundert Südafrika, gespiegelt in der persönlichen Historiografie und den Selbstporträts „gewöhnlicher“ Leute. Sie sind es, die erzählen, und ihre Erzählfäden kreuzen und verweben sich: So werden nicht nur die Transformationsprozesse der Gesellschaft über fünf Generationen sichtbar. Es entsteht dazu ein vielschichtiger und perspektivenreicher Gesamteindruck der komplexen südafrikanischen Gegenwart.

Für das aufwändige Projekt engagierte der Kurator Paul Faber vierzig südafrikanische Künstler. Die von Schriftstellern und Journalisten mit Liebe zum Detail aufgezeichneten Geschichten der Le Fleurs, Manuels, Plaatjes und Steins haben jeweils ein Designer und ein Fotograf in neun möblierten Kabinetten inszeniert und multimedial belebt mit Videos und Klanginstallationen. In die Labyrinthe der Familienerinnerung führen mit den Personen verbundene Objekte, Andenken und Gebrauchsgegenstände: ein Stück Seife, eine kitschige Porzellanuhr mit Vögeln, die Lieblingshandtasche der in den 50er-Jahren erfolgreichen Jazz-Sängerin Dolly Rathebe.

Wer sich einlässt, wird hineingezogen, etwa in die Abenteuer der weißen Siedlungspioniere. Da ist der kuriose John Dunn, ein Jäger und Händler, der der Rassenvermischung Vorschub leistete, nicht weniger als 48 Zulufrauen ehelichte, um über einen riesigen Klan zu herrschen, und sich im Zulukrieg 1879, der zur Annexion von Zululand durch die Briten führte, auf die Seite der Zulus schlug. Eine Nachgeborene ist die hundertdreijährige Amy Louw, die auf einer Hühnerfarm wie vor hundert Jahren lebt. Sie erinnert sich daran, wie ihr Haus verwüstet wurde, weil sie „farbig“ war. In der Dunkelkammer ihres Enkels Cedric erhielt das Südafrika der Rassendiskriminierung ein kenntliches Gesicht. Der Johannesburger dokumentierte in international Aufsehen erregenden Fotos die Erfahrungen der Schwarzen im Apartheitstaat.

Eine ganz andere Geschichte erzählt Ebrahim Manuel, der bis nach Indonesien reiste, um zu entdecken, dass sein muslimischer Vorfahr, ein „Rebell“, im 18. Jahrhundert von der Dutch East India Company ans Kap der guten Hoffnung verschleppt worden war. Das Tropenmuseum, das 1923 erbaut wurde, um Holland als Kolonialmacht und deren erbeutete Kulturschätze prunkvoll zu präsentieren, stellt sich heute mit seiner Dauerausstellung selbstkritisch der kolonialen Vergangenheit. An diesem Ort findet die Ausstellung „Group Portraits South Africa“, die noch bis Ende des Sommers zu sehen ist, ein ihrem Thema angemessenen und zu historischen Vergleichen anregenden Rahmen. SUSANNE GUPTA

Bis 21. September 2003,www.zuidafrika.tropenmuseum.nl