Ein Äquivalent für Sinn

Die Zukunft der Arbeit (Teil 8): Geld ist eine neurotische Substanz – das zeigt sich gerade bei der Arbeit in freiwilligen Projektgruppen, wenn plötzlich welches da ist und neue Verbindlichkeiten schafft

Gibt es eine Zukunft der Arbeit? Muss es überhaupt eine Zukunft der Arbeit geben? Und was bedeutet Arbeit eigentlich? Die nächste Folge unserer Serie zum Thema handelt von Arbeitsmodellen in medizinischen Berufen

von MONIKA RINCK

Vor mehr als zehn Jahren machten ein paar Freunde und ich einen Ausflug an den Berliner Müggelsee. Auf den tortigen Terrassen des Cafés mit Seeblick spielte eine abgehalfterte Zweimannkapelle auf. Das Publikum befand sich in einem Zustand stillschweigender Duldung und quittierte die Pausen mit müdem Applaus. Und dann sagte der Sänger etwas, was ich nie wieder vergessen sollte: „Sie müssen nicht klatschen, wir werden bezahlt.“

Das war auch – um hier eine halsbrecherische Überleitung in Anschlag zu bringen – die Zeit, in der wir begannen, uns in Gruppen zu organisieren, in so genannten Zusammenhängen, in denen man Anträge schrieb, um alles Mögliche möglich zu machen. Es waren zwar nicht die wichtigen Praktika in der freien Wirtschaft, deren heilsbringerische Qualitäten später, als wir zu alt dafür waren, beschworen wurden, aber es war zumindest eine Praxis: ein Kino gründen, an Gruppenausstellungen teilnehmen, Lesungen organisieren.

Das alles war „viel Arbeit“ – aber ob es wirklich „Arbeit“ war? Gelistet im Lebenslauf schienen die Details dieser Eigeninitiativen anfänglich dem beruflichen Fortkommen höchst förderlich zu sein, am Ende offenbarten sie doch nur den Mangel an institutionellem Rückhalt. Noch später wurde klar, dass es in diesem paradiesischen Ungleichgewicht aus Projekten, künstlerischer Arbeit, Geldmangel und Freundschaften einen monströsen Wiedergänger anzutreffen gab: den Zeitverlust. Endlich fertig studiert, richtete man sich in jener Grauzone aus Stipendien, Gelegenheitsjobs und Honoraren schäbig ein, als sei schlechte Bezahlung, wie es Diedrich Diederichsen einmal angemerkt hat, ein Äquivalent für Sinn.

Die Zeit wurde trotzdem knapp. Da kam die Nachricht von der gigantischen Förderungssumme wie ein Schlag: Die Arbeit der Gruppe wurde in ein neues Stadium hereinkatapultiert, in dem das Geld sich selbst neue Verbindlichkeiten schuf, die auf jeder Ebene, der organisatorischen wie der künstlerischen, neu beantwortet werden mussten. Schließlich wollten wir nichts tun, nur weil wir mit einem Mal dazu in der Lage waren. Nicht so sein wie die Bands, die diffus orchestral werden, nur weil sie es sich jetzt leisten können. Darüber bestand Konsens.

Doch wie honoriert man die Arbeitstreffen, die früher einfach nur das Wochenende gekostet haben? Wie zahlt man Gruppenarbeit aus, wenn es etwas zu verlieren gibt, das über einen Hauptseminarschein hinaus geht? In der ersten Euphorie des Überflusses glaubten wir all jene diffizilen Verteilungsmechanismen umgehen zu können, indem wir das Geld analog zum biblischen Gleichnis vom Weinberg verteilten. Zur Erinnerung: Die Arbeiter der elften Stunde erhalten das Gleiche wie die Arbeiter der ersten Stunde, die die Last des Tages trugen. „Steht es mir nicht frei, mit dem Meinigen zu tun, was ich will? Oder ist dein Auge neidisch, weil ich gütig bin?“ Schon bald griffen kaufmännische Regelungen, und das Geld zeigte sich wieder als das, was es in solchen Zusammenhängen immer schon ist: Eine neurotische Substanz, über die zu sprechen schwierig ist – insbesondere, wenn man nie gelernt hat, in eigener Sache zu verhandeln.

So wurde die Frage nach der Honorierung von anderen Fragen in den Hintergrund gedrängt. Eine davon war die folgende: Kann man in Gruppen überhaupt denken? Jedem Denken in Gruppen, so der Psychoanalytiker W. R. Bion, eignet eine psychotische Qualität. Grund dafür sind die unkontrollierbaren Denkimpulse, die überall rund um den Tisch aufpoppen – wenig vorhersehbar und von einer verunsichernden, fremden Denkleistung befeuert. Forciert ausgedrückt: Wenn ein Guppenorganismus ein Individuum wäre, dann wäre es psychotisch.

Wer in eine Gruppe hineinspricht, spricht in eine Atmosphäre von Lähmung und Faszination hinein. Manchmal überwiegt das eine, manchmal das andere. Die Faszination kann im besten Fall in jene blendenden Momente der Produktionseuphorie münden, in denen Denken, Sprechen, Mitteilen und Verstandenwerden eine pyrotechnische Allianz eingehen. Dann weiß man, was man tut und warum man es gemeinsam tut.

Doch die Arbeit in der Gruppe produziert nebenbei immer auch ein ornamentales Umfeld: den Rand, gespeist aus dem Imaginären aller Beteiligten. Die Gruppe, die sich trifft, um etwas herzustellen, wird immer auch um das Ausstaffieren des Randes bekümmert sein. Und je größer der Rand wird, desto größer wird die Distanz zum Produkt, um das es geht. Sich dann wieder diesem kleinen, harten Ding in der Mitte zuzuwenden, erfordert Frustrationstoleranz.

Dabei lag im Geld zumindest noch der Anreiz, wenigstens die Arbeitsverhältnisse so auf die Füße zu stellen, wie der Kopf es wollte. Natürlich wäre es – nur als Beispiel – möglich, allein Statisten für den immer noch im Projektstadium befindlichen Film zu nehmen, denen Statistsein Spaß macht.

Sollte es aber einigen unter den Statisten nach vier Stunden mit einem Mal keinen Spaß mehr machen, Statist zu sein, müsste man sie bezahlen. Was ist aber dann mit den Statisten, denen es dann auch keinen Spaß mehr macht, weil andere Statisten ausgezahlt werden für ihren Unmut? Und was ist Unmut überhaupt für eine Währung?

Und wenn dann am Ende, nach mehreren Millionen Stunden, das Produkt endlich fertig ist und zur Abnahme vorliegt, ist man vor einem nicht gewappnet: Dass es trotz allem nichts geworden ist und die Summe des ausgegebenen Geldes und der investierten Zeit sich zu einem ungeheuren Vorwurf formieren, den man unter den Bedingungen des Mangels so nicht kannte.

Und während die beiden Musikanten vom Berliner Müggelsee den müden Applaus mit Hinweis auf ihre Bezahlung abwehrten, muss man sich hier einer anderen Konsequenz stellen: Keiner klatscht, dabei wurden wir sogar bezahlt.