Wege zum Rum

Besuch des altmodischen Herrn Ferrer: In Berlin zeigte sich der Sänger mit der Schiebermütze als wahrer Son-Brother. Der 76-Jährige ist der letzte aktive Vertreter der „Buena Vista“-Riege

von DANIEL BAX

Die linke Faust gereckt, tritt Ibrahim Ferrer auf die Bühne: Eine kurze Erinnerung daran, dass der Sänger aus einem der letzten Länder kommt, in denen noch der Sozialismus regiert. Ansonsten erwecken der Mann und seine Musik ja den Eindruck, mit der Revolution von 1959 sei auf Kuba die Zeit stehen geblieben.

Schon beim Radiobesuch am Vormittag hatte Ibrahim Ferrer sich als Kavalier der alten Schule gezeigt, der Redakteurinnen noch mit Handkuss begrüßt. Und auch seine Lieder, die den Duft der Frauen gern mit Gardenien vergleichen, entsprechen eher altmodischen – man könnte auch sagen: angestaubten – Vorstellungen von Romantik. Ibrahim Ferrers Repertoire stammt eben überwiegend aus den 40er- und 50er-Jahren, der klassischen Ära des Son Cubano: Boleros und Balladen aus jener Zeit, einlullend und lasziv, sind sein Metier.

Genau das aber ist heute wieder gefragt, und so strömten am Freitagabend 4.000 Menschen in Sommergarderobe ins Berliner Tempodrom, um dem altmodischen Herrn Ferrer zu lauschen. Nachdem der Pianist Rubén Gonzáles endgültig in den Ruhestand gewechselt ist und der Gitarrist Compay Segundo kürzlich verstarb, ist Ibrahim Ferrer der letzte große Repräsentant des Buena Vista Social Clubs. Erst mit dem unverhofften „Buena Vista“-Ruhm kam er zur späten Ehre, sein erstes Soloalbum unter eigenem Namen einzuspielen. Sein Stil aber ist opulenter und gediegener als der spröde, manchmal gar karge Sound des „Buena Vista“-Albums. Denn Ibrahim Ferrer ist als Sänger so etwas wie das kubanische Gegenstück zu Frank Sinatra oder Barry White: ein Crooner.

Bei seinem Konzert in Berlin zeigte er sich, in cremeweißem Anzug, als wahrer Son-Brother. Mit dem Erfolg kann er es sich nun leisten, mit großem Orchester aufzutreten: Neunzehn Köpfe stehen neben ihm auf der Bühne des Tempodroms, allein die Bläsersektion ist neun Mann stark.

Ein paar seiner Musiker kennt man noch aus dem „Buena Vista“-Kontext: den Orchesterchef Manuel Galbàn etwa, der mit seiner Gitarre auf einem Stuhl am Bühnenrand präsidiert, oder Orlando „Cachaito“ Lopes am Kontrabass. Ein Ansager dirigiert das hochkarätige Ensemble, dass sich in seiner Teamarbeit so präzise wie ein Uhrwerk zeigt. Es ist ein gut gelaunter Haufen alter Herren, die das Konzert über mal lustig im Takt wackeln, mal zum Tanz animieren oder die Arme in die Luft werfen, als wären sie bei der Morgengymnastik.

Am Anfang vertändelt sich das Orchester noch in rhythmischen Spielereien – die Conga klöppelt versonnen, das Saxophon trötet verträumt –, doch dann swingt es sich zunehmend ein. Als Ibrahim Ferrer kurzzeitig die Bühne verlässt, zieht das Ensemble das Tempo an, und alle Beine im Saal heben sich im Takt. Der „Buena Vista“-Boom hat ja den Deutschen nicht nur den Weg zu Rum und Zigarren gewiesen, sondern auch ihre Hörgewohnheiten gebildet: Viele haben beachtliche Fortschritte gemacht und sogar an Rhythmusgefühl gewonnen.

Zum Ende seines Auftritts setzt Ibrahim Ferrer zum Hohelied auf die „Musica Cubana“ an, mit einem Stück, das die alten Helden der kubanischen Musik feiert und in der Aufzählung all ihrer Namen kulminiert. Beim Konzert in Berlin beginnt es als Etüde am Piano, während der Rest der Kappelle noch eher unbeteiligt herumsteht. Dann steigt die Band ein, dreht an der Rhythmusschraube und zwirbelt den Song allmählich seinem Höhepunkt entgegen, in ein frenetisches Finale, wie im Rausch. Ibrahim Ferrer singt dazu all die Namen, die einst die goldene Ära des Son prägten. Und endet mit seinem verstorbenen Kollegen: „Compay Segundo!“.