Wie geil darf Geiz sein?

Manche Moralisten stören sich an nackten Brüsten in der Werbung, anderen ist schon der Slogan „Mein Auto, mein Haus, mein Boot …“ zuwider. Zensur findet nicht statt – höchstens Selbstzensur

von WINFRIED UREBE

Üppige Oberweite, die Zunge lockend zwischen den Zähnen und eine Dose „K-fee“ zwischen den Brüsten – nein hier geht es nicht um ein Hochglanzpornomagazin, sondern um Werbung. Obwohl – die junge blonde Dame auf dem Bild, Michaela Schaffrath alias Gina Wild, ist einschlägig bekannt. Jetzt prangt sie in ganz Deutschland auf Plakaten und soll besonders Studenten, Videospieler und Endlossurfer vom Vorteil eines Kaffeegetränks überzeugen. Zwar gab es zu Anfang Proteste – „obszön, frauenfeindlich“ – aber die Kampagne läuft weiter.

Das könnte sich allerdings demnächst ändern. Verschiedene Mitglieder der EU-Kommission möchten derartige Darstellungen von Frauen zukünftig in Medien und Werbung verbieten. Geht es nach den Vorstellungen der griechischen EU-Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou, sollen Gerichte entscheiden, ob eine Werbung oder ein Bild nur „sexy“ ist oder schon eine Verletzung der Menschenwürde vorliegt. Bereits ein blanker Busen könnte dann die Gerichte schon auf den Plan rufen. Ob es so weit kommt, bleibt abzuwarten, denn sämtliche EU-Kommissare müssen sich für das Vorhaben aussprechen.

Für Helmut Verdenhalven, Referent für Medienpolitik im Bund Deutscher Zeitungsverleger, hat die EU einen Reglementierungszwang: „Wir haben doch den Deutschen Werberat, die Selbstregulierung funktioniert bislang ausgezeichnet.“

Werbung und Ethik – ein Thema, das seit langem immer wieder die Gemüter erhitzt. Zensur darf nicht sein, warnen die einen, der Transport positiver Werte ist wichtig, mahnen die anderen. Der katholische Theologe und Medienethiker Ferdinand Rohrhirsch beispielsweise kritisiert Werbung, die mit Tabubrüchen arbeitet, auch weil sie der betreffenden Marke schadet. „Nehmen Sie ‚Geiz ist geil‘ – langfristig wird das Saturn schaden, auch wenn sie jetzt kurzfristig den Nerv der Zeit treffen“, sagt Rohrhirsch, der sich auch mit ethisch fundierter Führungstechnik beschäftigt. Nichts gegen Sparsamkeit, aber Geiz, so seine Sicht, bedeute Sparsamkeit auf Kosten der anderen, ein Übermaß des Nehmens.

Werbepapst Holger Jung, Mitgründer der renommierten Hamburger Agentur Jung von Matt, kann die Kritik an „Geiz ist geil“ nicht verstehen: „Jeder versteht den Slogan richtig – es geht nicht um die Förderung negativer menschlicher Eigenschaften, sondern nur um den Hinweis: Hier bekommst du gute Preise, hier machst du einen guten Deal.“

Jung, dessen Kampagnen schon oft angegriffen wurden, glaubt an die Mündigkeit des Verbrauchers. Der könne, obwohl viele das nicht wahrhaben wollten, die Medieninhalte richtig interpretieren: „Und wenn wir schon von Ethik in der Werbung sprechen, dann geht es um das Verletzen von Gefühlen einzelner Menschen, die Diskriminierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen – das sollte ein Tabu bleiben.“

Verletzt fühlten sich von Jungs Werbung allerdings schon viele: zum Beispiel vom altbekannten Sparkassen-Angeber-Reklamefilmchen „Mein Auto, mein Haus, mein Boot …“ – „Alle möglichen Moralapostel mit ihren Verbänden liefen Sturm gegen den Spot, der dann, obwohl absolut erfolgreich, erst mal zurückgezogen wurde“, erinnert sich der Werbeprofi. „Zu materialistisch“ oder „Aufruf zur Konsumglorifizierung“ hieß es. „Aber was sind denn die Aufgaben und Ziele einer Bank?“, fragt Jung ganz unschuldig.

Ein weiterer Spot, ebenfalls für die Sparkasse, wurde vor kurzem nach interner Kritik von politisch ganz oben abgesetzt: Ein älterer Mann geht zu einem jungen Mann und sagt: „Ich bin du in 30 Jahren – danke für meine Rente.“ Dann versetzt er ihm einen Schlag. – „Ethisch nicht vertretbar“, urteilte man. Und warum die Werbung nicht einfach mit den Vorteilen der jeweiligen Produkte werben würde. „Wir haben praktisch überall Verdrängungsmärkte“, kontert Jung. Und die Grundqualitäten der meisten Produkte würden von den Menschen eben als ähnlich erlebt. „Dann reagieren sie auf den psychologischen Überbau an der Marke, den emotionalen Mehrwert. Das stellen wir als Botschaft in den Vordergrund.“ Werbung habe schlicht nicht die Aufgabe, moralische und ethische Werte zu verkaufen, sondern Produkt- und Markenleistungen, stellt Jung fest – und schiebt eine nicht ganz taufrische Erkenntnis nach: „Werbung kreiert keine Trends, sie nutzt nur Trends, die es bereits gibt, und verstärkt sie höchstens.“

Rohrhirsch dagegen ist überzeugt, dass Werbung ethische Führung braucht: „Generell soll sie ja für ein besseres Leben sorgen. Ethische Normen wie Verantwortlichkeit, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, die auf formalen Strukturen basieren und die das Zusammenleben fördern sollen, müssen hier auch zum Zug kommen.“

In einem „Päpstlichen Rat für die sozialen Kommunikationsmittel“, veröffentlicht Ende der 90er-Jahre, heißt es: „Werbemanager sind selektiv, was die Werte und Haltungen betrifft, die unterstützt und angeregt werden sollen. Diese Selektivität straft die Behauptung Lügen, Werbung reflektiere lediglich die umgebende Kultur.“ So könne beispielsweise das Fehlen bestimmter ethnischer Gruppen in der Werbung in manchen multiethnischen Gesellschaften zum Entstehen von Image- und Identitätsproblemen besonders unter den „Vernachlässigten und Missachteten“ beitragen.

Ob Zensur und Verbot dabei tatsächlich die geeigneten Mittel sind, um Grenzen festzulegen, bleibt fraglich, denn wie so oft könnte bei derartigen Restriktionen das Gegenteil des erhofften Ergebnisses bewirkt werden. Tröstlich, dass zumindest eine Feststellung von Jung von allen Seiten geteilt wird: „Jede Gesellschaft erhält die Werbung, die sie verdient.“