Der Sturm auf die Moncada

Am 26. Juli 1953 fiel der Startschuss zur kubanischen Revolution: Castro wollte die Moncada-Kaserne von Santiago stürmen. 19 Soldaten starben beim gescheiterten Versuch, den der Revolutionsführer mit weniger als zwei Jahren Gefängnis büßte. Fünfzig Jahre später: Anfang April wurden auf Kuba 72 Dissidenten zum Teil zu über zwanzig Jahren Haft verurteilt. Sie hatten nur mit der Feder gekämpft. Ebenfalls im April wurden drei junge Männer füsiliert. Sie waren beim Versuch gescheitert, ein Schiff zu entführen

von THOMAS SCHMID

Karneval in Kuba. In Santiago, der zweitgrößten Stadt der Insel, wo die Bevölkerung vorwiegend von schwarzer Hautfarbe ist, wurde wie immer am ausgiebigsten gefeiert. Salsa, Rumba, Cha-Cha-Cha. Man tanzte und lachte, und der Rum floss in Strömen.

Auch in einem verlassenen Bauernhaus der nahen Küstenstadt Siboney ging es hoch her. Zwei Frauen bügelten Berge gelber, selbst geschneiderter Armeeuniformen. Männer schleppten Karabiner, Jagdflinten und Revolver herbei, die in Ziehbrunnen und unter den Dielen versteckt gelegen hatten.

Am 26. Juli 1953, um vier Uhr früh, versammelte Fidel Castro 130 Rebellen, die aus den verschiedenen Gegenden des Landes zusammengekommen waren. Den Plan, in den bislang nur fünf Männer eingeweiht waren, erläuterte er ihnen erst jetzt – eine Stunde bevor es losging. Man werde die fünfzehn Autominuten entfernte Moncada, die zweitgrößte Kaserne des Landes, stürmen. Ein zweiter, 27 Mann starker Trupp befinde sich in der weiter westlich gelegenen Stadt Bayamo. Von da aus werde der Trupp die dortige Kaserne einnehmen und die einzige Straßenverbindung nach Santiago unter Kontrolle bringen, um jeden Nachschub der Armee zu unterbinden.

„Ihr habt euch der Bewegung freiwillig angeschlossen“, beendete Castro seine Ausführungen, „und auch heute sollt ihr freiwillig am Überfall teilnehmen, wenn jemand nicht will, kann er sich jetzt noch zurückziehen.“ Zehn Rebellen sprangen ab und wurden – reine Sicherheitsmaßnahme – in der Küche unter Arrest gestellt. Die anderen stürzten sich in ein militärisches Abenteuer, das – nach offizieller Geschichtsschreibung – den Startschuss zur kubanischen Revolution gab.

Mit Waffen umzugehen, hatte Castro gelernt. Auf dem Campus der Universität von Havanna, wo er Jura studierte, kam es in einer Grauzone zwischen Gangstertum und Politik regelmäßig zu Schießereien.

Als sich kurz vor den geplanten Wahlen 1952 General Fulgencia Batista an die Macht putschte, entschied sich Castro für den bewaffneten Kampf. Er hatte für einen Sitz im Parlament kandidiert, und die „Orthodoxen“, eine liberale Partei, der er angehörte, hatten beste Aussichten gehabt, die Wahlen zu gewinnen. Jetzt, da der legale Weg versperrt war, organisierte Castro eine bewaffnete Bewegung. In Kanada hatten die Führer der politischen Opposition im Juni 1953 Strategien für den Sturz Batistas beraten. Mit der Einnahme der Kaserne von Santiago und der Kontrolle über den Osten der Insel wollte Castro ihnen gegenüber seine Machtansprüche anmelden.

Am 26. Juli 1953, kurz nach fünf Uhr morgens, setzt sich beim Bauernhaus in Siboney eine Karawane von sechzehn amerikanischen Limousinen in Bewegung. Der Plan: Die Männer im ersten Wagen sollen die Wache vor dem Tor drei überrumpeln und entwaffnen. Das Gros der Rebellen wird dann die Kaserne stürmen und die Soldaten im Schlaf überraschen. Ein Trupp soll den nahen Justizpalast einnehmen und von dessen Dach aus die Maschinengewehre auf den Dächern der Kaserne in Schach halten. Ein weiterer Trupp hat die Aufgabe, das Krankenhaus zu besetzen, dessen Rückseite zur Kaserne hin liegt, um von dort aus die Kaserne mit Sperrfeuer zu belegen.

Die ersten Schwierigkeiten gibt es kurz nach der Abfahrt. Eine Limousine hat einen Platten, ein Ersatzreifen lässt sich nicht auftreiben. Mindestens zwei weitere Autos verirren sich in der Stadt. Doch der Auftakt gelingt. Als der erste Wagen bei Tor drei ankommt, springt der Chauffeur heraus und schreit: „Achtung! Platz frei! Der General kommt!“ Die beiden Soldaten und der Korporal, die Wache halten, glauben, die Männer in gelber Armeeuniform seien Kameraden, präsentieren das Gewehr und werden umgehend entwaffnet. Als der Korporal merkt, was gespielt wird, macht er ein paar Schritte zur Alarmglocke hin. Er wird niedergeschossen, kann aber im Sterben noch den Alarm auslösen.

Inzwischen ist das zweite Auto wenige Meter vor dem Tor angekommen. Am Steuer sitzt Castro selbst. Zufällig taucht auf der Straße außerhalb des Kasernengeländes eine Patrouille auf. Der Revolutionär wird nervös und fährt den Wagen so unglücklich gegen den Bordstein, dass er den Motor abwürgt.

Innerhalb von wenigen Sekunden entwickelt sich am Tor nun ein Feuergefecht, in das verkaterte Soldaten, die gerade vom Karnevalfeiern zurückkehren, und weitere eintreffende Rebellen verwickelt werden. Etwa fünfzig Männern Castros gelingt es, einen Schlafsaal der Kaserne zu stürmen, wo sie von Schießerei und Alarm völlig verwirrte Soldaten festnehmen.

Doch finden die Rebellen weder die Waffenkammer noch die Funkzentrale. So erfahren sie nicht, ob ihre Genossen in Bayamo erfolgreich waren (sie waren es nicht), und können auch die Kommunikationskanäle der Militärs nicht lahm legen. Die Soldaten – mindestens zehnmal mehr an der Zahl – sind auch waffentechnisch den mit alten Karabinern, museumsreifen Flinten und rostigen Revolvern ausgerüsteten Rebellen weit überlegen. Schließlich bläst Castro zum Rückzug.

Seine Truppe, die den Justizpalast bereits besetzt hat, macht sich angesichts der Entwicklung der Kämpfe ebenfalls aus dem Staub. Nur die Rebellen im Krankenhaus, die keine Übersicht über das Geschehen haben, feuern weiter in den Hinterhof der Kaserne. Als sie sich ihrer Lage bewusst werden, ist es bereits zu spät. Zwar gelingt es ihnen noch, die Uniformen auszuziehen, sich Verbände anzulegen und als Scheinpatienten in die Krankenbetten zu flüchten. Doch der Trick fliegt auf. Sie werden entdeckt, festgenommen und bis auf die beiden Frauen, die in Siboney die Uniformen gebügelt hatten und an der Besetzung des Krankenhauses ebenfalls teilnahmen, alle ermordet. Etwas mehr als eine Stunde haben die Auseinandersetzungen gedauert. Zurück bleiben neunzehn tote Soldaten und acht tote Revolutionäre.

Dass er aus dem militärischen Debakel politisches Kapital schlagen kann, hat Castro dem Diktator zu verdanken. In den nächsten vier Tagen machen Batistas Schergen Jagd auf die Rebellen. Über fünfzig werden festgenommen und kaltblütig erschossen oder zu Tode gefoltert. Selbst die zensierte Presse spricht von Misshandlungen. Die Öffentlichkeit ist schockiert, und in liberalen Kreisen wächst die Sympathie für die mutigen jungen Männer, die bereit waren, für ihre Ziele das eigene Leben zu riskieren.

Enrique Pérez Serantes, Erzbischof von Santiago, fordert die Regierung auf, die Massaker zu beenden. Schließlich erreicht er die Zusage des Armeekommandanten von Santiago, die noch flüchtigen Rebellen vor ein ordentliches Gericht zu stellen, falls sie sich ergeben. Der Gottesmann geht mit einigen Helfern in die Berge, um die Aufständischen zu suchen und ihnen sicheres Geleit anzubieten. Doch Castro, der sich mit achtzehn Männern in die Sierra Maestra aufgemacht hat, traut dem Agreement zwischen Armee und Geistlichen nicht und bleibt versteckt.

Am 1. August entdeckt eine Patrouille der Landgendarmerie in den Bergen drei Männer, die in einem Schuppen schlafen. Leutnant Pedro Manuel Sarriá erkennt Fidel Castro sofort – sie sind sich in der Universität öfter begegnet. Er verbietet seinen Männern, die drei zu töten. Als der Kommandant von Santiago von der Festnahme erfährt, schickt er einen Trupp Soldaten in die Berge, der die Gefangenen übernehmen und noch vor Ort erschießen soll. Doch Sarriá weigert sich, Castro und die beiden andern Rebellen auszuliefern, und bringt sie statt in die Kaserne zum Stadtgefängnis, wo er sie unter Beobachtung zahlreicher Zeugen unversehrt übergibt. Der mutige Leutnant wird deswegen später von einem Militärgericht zu einer Haftstrafe verurteilt.

Ende September wird in Santiago der Prozess gegen 32 Rebellen eröffnet, die sich am Sturm auf die Moncada-Kaserne beteiligt haben. Anfang Oktober werden die meisten von ihnen zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt. Vier, unter ihnen Castros Bruder Raúl, erhalten dreizehn Jahre. Fidel selbst bekommt fünfzehn Jahre Zuchthaus. Als Rechtsanwalt verteidigt er sich selbst. In frei gehaltener Rede umreißt er sein politisches Programm und schließt das Plädoyer mit den berühmt gewordenen Worten: „Verurteilt mich, das hat nichts zu bedeuten, die Geschichte wird mich freisprechen.“

Neunzehn Monate nach dem Urteil unterzeichnet Diktator Fulgencio Batista unter dem Druck der Öffentlichkeit ein Amnestiedekret: Fidel Castro und alle seine Mitstreiter werden aus dem Gefängnis entlassen.

Anderthalb Jahre später, im Dezember 1956, landet Castro, aus dem mexikanischen Exil kommend, in einem Motorboot namens „Granma“ mit einundachtzig bewaffneten Genossen an der kubanischen Küste. Der Trupp wird von Regierungstruppen weitgehend aufgerieben. Nur einundzwanzig Rebellen überleben und beginnen den Guerillakrieg in der Sierra Maestra. Zwei Jahre später, am 1. Januar 1959, ziehen die Revolutionäre siegreich in Havanna ein. Noch am Vortag hatte Fidel Castro erklärt: „Mich persönlich interessiert die Macht nicht und ich denke auch nicht daran, sie zu übernehmen.“

Vierundvierzig Jahre später – im Jahre 2003, am 50. Jahrestag des Beginns der Revolution – ist Fidel Castro immer noch Staatschef, Regierungschef, Parteichef, Oberbefehlshaber und máximo líder. Ohne Konkurrenz. Nach Rainier Grimaldi, seit 1949 Fürst von Monaco, ist er heute der dienstälteste Staatschef der Welt, und nichts deutet darauf hin, dass er eine Übergabe der Macht auch nur ins Auge fasst.

Die Anzeichen einer heraufkommenden Diktatur neuen Stils erkannte Huber Matos, einer der fünf obersten Kommandanten der Revolution, schon sehr früh. Ein halbes Jahr nach dem Triumph schrieb er Castro einen Brief, in dem er ankündigte, er sei mit dem Kurs, den die Dinge nähmen, nicht einverstanden, er habe für die Demokratie gekämpft, jetzt werde er sich ins Privatleben zurückziehen. Wenige Monate später wurde Matos zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, die er bis zum letzten Tag absaß. Vor Gericht hielt er eine fulminante Verteidigungsrede, die anders als jene Castros in Kuba nie bekannt wurde. Die Zensur funktionierte bereits besser als zu Batistas Zeiten.

Mario Chanes de Armas wollte nicht resignieren. Wegen eines geplanten Attentats auf Castro wurde er 1961 zu dreißig Jahren Gefängnis verurteilt. Auch er saß sie ab und war damit länger in Haft als Nelson Mandela. Chanes hatte mit Castro zusammen versucht, die Moncada zu stürmen. Zusammen waren sie auf der „Granma“ im Süden Kubas an Land gegangen. Zusammen hatten sie in der Sierra Maestra gekämpft.

So wie Sorí Marin. Nach dem Sieg wurde er Landwirtschaftsminister und schon 1961 wegen „konterrevolutionärer Umtriebe“ füsiliert. Jesús Yáñez Pelletier, der zum Chef der persönlichen Garde Castros ernannt worden war, weil er sich als Batistas Offizier einst geweigert hatte, Castro im Gefängnis zu vergiften, wurde, nachdem er öffentlich gegen ihn Position bezogen hatte, zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt, von denen er elf absaß.

Man mag in diesen Fällen die Repression noch den turbulenten Zeiten unmittelbar nach der Revolution zuschreiben, und schließlich landeten 1961 die Anhänger der alten Diktatur, von der CIA ausgerüstet und logistisch unterstützt, schwer bewaffnet in der Schweinebucht im Süden Kubas.

Doch die Liste lässt sich fortschreiben. Gustavo Arcos, der ebenfalls mit Castro am Sturm auf die Moncada beteiligt war, saß allein aufgrund seines Einsatzes für die Menschenrechte von 1967 bis 1970 und von 1981 bis 1988 im Gefängnis. Im Dezember 1991 ging Eduardo Díaz Betancourt, der im April zuvor nach Miami geflüchtet war, zusammen mit zwei Verschwörern bewaffnet in Kuba an Land, um einen Aufstand anzuzetteln. Einen Monat später wurde er hingerichtet.

Alle Türen für einen friedlichen politischen Kampf sind mir verschlossen worden. Die Zeit ist gekommen, unsere Rechte an uns zu reißen, statt um sie zu betteln“, schrieb Fidel Castro am Tag, als er ins Exil ging, seinem Freund Carlos Franqui, der während des Befreiungskriegs den Sender „Radio Rebelde“ betrieb und nach dem Sieg die Tageszeitung Revolución leitete, bis er 1968 dem Regime den Rücken kehrte und sich ins Ausland absetzte.

Wer heute in Kuba auf friedlichem Weg etwas ändern will, findet sich schon bald nicht vor, sondern hinter verschlossenen Türen – im Gefängnis. Anfang April dieses Jahres wurden in Kuba 72 Dissidenten zu Haftstrafen von bis zu 25 Jahren verurteilt. Sie hatten „unabhängige Bibliotheken“ gegründet, ausländischen Medien Informationen geliefert, sich fürs freie Wort eingesetzt. Sie hatten – anders als Fidel Castro und seine Rebellen – niemanden getötet. Auch die drei jungen Männer, die, ebenfalls im vergangenen April, bei einer Schiffsentführung scheiterten, haben niemanden umgebracht. Sie wurden in einem Geheimprozess zum Tod verurteilt und hingerichtet.

THOMAS SCHMID, taz-Autor und unter anderem Ex-Chefredakteur dieser Zeitung, wird heute, am 26. Juli, 53 Jahre alt. Im Frühjahr 2003 reiste er durch Kuba und sammelte dort Geschichten des Landes wie diese