Der lange Arm Hanois

Der Vertrieb einer in Warschau erscheinenden unabhängigen Zeitschrift für Auslandsvietnamesen im ehemaligen Ostblock wird behindert. Dahinter steckt wahrscheinlich die vietnamesische Botschaft

von MARINA MAI

Der Vertrieb der in Warschau erscheinenden unabhängigen vietnamesischen Zeitschrift für Auslandsvietnamesen, Dan Chim Viet (Vietnamesische Vogelschar), wird nach Angaben der Redaktion in Prag seit Monaten durch Sicherheitsbeamte der vietnamesischen Botschaft behindert. Bereits im Mai, so berichtet der Prager Vertreter der Zeitschrift, Nguyen Dang Dao, habe der vietnamesische Betreiber des Asia-Marktes „Sapa“ den dortigen Händlern mit Repressalien durch die vietnamesische Botschaft gedroht, falls sie die Zeitschrift weiter im Angebot hätten. Als solche Repressalien seien etwa Probleme beim Außenhandel mit Vietnam denkbar. Seitdem verweist die Marktleitung den Prager Vertreter des Blattes nach dessen Angaben aus dem Markt, in dem er Händler beliefern will. Im Ergebnis ging der Freiverkauf der Zeitschrift in Prag zurück. Weil die Nachfrage nach wie vor bestand, stiegen die Preise. Chefredaktuer Le Dien Duc gegenüber dem Berliner Sender „Radio Multikulti“: „Uns haben Händler gesagt, die Botschaft stehe hinter der Behinderung des Verkaufs.“

Ende Mai hatten vietnamesische Händler im Sapa-Markt gegen eine Mieterhöhung gestreikt und dabei auch gefordert, das Journal, mit dem sie Gewinne erwirtschaftet hatten, wieder verkaufen zu dürfen. Die Marktleitung hätte nach Angaben der Warschauer Redaktion eingelenkt. „Als die Juniausgabe beliefert wurde, soll der Verkauf zunächst einige Tage gelaufen sein“, berichtet Vu Quoc Dung von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.

„Dann, so wurde mir berichtet, hätten Soldaten der Mafia die Restexemplare konfisziert.“ Die Warschauer Redaktion spricht von 500 konfiszierten Exemplaren. Hingegen sei der Verkauf in Polen und den Asiamärkten in den tschechischen Städten Plzn und Liberec reibungslos gelaufen. Gegenüber der britischen BBC hatte die vietnamesische Botschaft in Prag den Vorwurf zurückgewiesen. Ein Botschaftssprecher erklärte: „Wenn eine Zeitschrift schlecht ist, kann die vietnamesische Gemeinde in Prag entscheiden, sie nicht zu verbreiten.“

Dan Chim Viet ist eine publikumsorientierte Monatszeitschrift, die von Vietnamesen in 14 Staaten gelesen wird. Hauptverbreitungsgebiete sind Tschechien und Polen, ferner Russland, Weißrussland, die Slowakei und Frankreich. Die politischen Berichte aus Vietnam setzen mit den Themen Kontraste zu denen des staatlichen vietnamesischen Fernsehens, das man in Europa empfangen kann, indem sie etwa Menschenrechtsfragen thematisieren. Dabei berichtet das Blatt ausgewogen und nicht im Stil einer Exilzeitschrift. Viele ihrer Lesenr wurden schließlich von der Hanoier Regierung in den 80er-Jahren als Vertragsarbeiter in die „sozialistischen Bruderländer“ entsandt und stehen der vietnamesischen Regierung eher wohlwollend gegenüber.

Daneben bedient die professionell gemachte Hochglanzzeitschrift die Themen Lifestyle, Sport und berichtet über die vietnamesischen Gemeinden in Osteuropa. Dan Chim Viet ist die einzige von der Hanoier Regierung unabhängige vietnamesische Zeitschrift, die in einem ehemals sozialistischen Staat erscheint. Die Behinderung des Verkaufs in Prag ist nicht die erste Repressalie, die Dan Chim Viet erfuhr.

Nach Redaktionsangaben wird in Russland der Verkauf seit Jahren behindert. Der stellvertretende Chefredakteur Tran Ngoc Thanh wurde nach eigenen Angaben von der vietnamesischen Sicherheitspolizei auf dem Hanoier Flughafen festgenommen, als er letztes Jahr nach einer Vietnamreise wieder nach Polen zurückkehren wollte. Erst nach einem offizielles Einschreiten der polnischen Botschaft in Hanoi kam der in Polen eingebürgerte Mann frei. Die Prager Wochenzeitung Respekt sprach von einer „rücksichtslosen und brutalen Verletzung der Pressefreiheit durch die Geheimpolizei der vietnamesischen Regierung in einem freien und demokratischen Staat, der tschechischen Republik“ und beklagt, dass die Prager Behörden die Vorfälle bislang ignorierten. Für Vu Quoc Dung von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte liegt zwar ein „Angriffsversuch auf die Pressefreiheit mit illegalen Mitteln“ vor, jedoch noch kein Gesetzesverstoß.

„Derzeit kann man an einigen Handelsplätzen in Prag die Zeitschrift noch unter dem Ladentisch bekommen. Wir beobachten die Situation jedoch weiter,“ sagt er gegenüber der taz. Das nicht nur in Prag, sondern in Zukunft auch in Ostdeutschland.

Der Grund: Die Redaktion hat angekündigt, ab Juli auch die Asiamärkte in Berlin, später in Leipzig, Dresden, Chemnitz, Magdeburg und Erfurt zu beliefern. Dung: „Ich fürchte, in Deutschland sind die Asiamärkte noch stärker von der vietnamesischen Botschaft abhängig als in Prag, so dass sie sich dem Verkauf verweigern werden.“ Das zeigten in den letzten Jahren zaghafte Erfahrungen, die Exilblätter der westdeutschen Boatpeople in diesen Märkten anzubieten. „Die Händler sagten uns, sie hätten Angst vor Repressalien der Botschaft.“

In Ostdeutschland und Tschechien arbeiten viele Vietnamesen in starken Subwirtschaften, die von der Mehrheitsökonomie relativ abgekoppelt sind. Das macht sie untereinander und von vietnamesischen Behörden abhängig. Die vietnamesischen Händler müssten, so Dung, Probleme für ihre Handelsbeziehungen befürchten, wenn sie sich einem Ansinnen der vietnamesischen Botschaft widersetzen sollten.