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: Stoibers Taktieren ist kein Problem des Föderalismus, sondern der CDU/CSU

Schon als Kanzlerkandidat war Edmund Stoiber ein Meister der Disziplin, sich in den eigenen Aussagen zu verheddern. Ein Jahr nach der verlorenen Wahl bringt er es zu neuen Höchstleistungen. Am Wochenende drohte er noch vollmundig mit einer Blockade der Bundesregierung, gestern hingegen gab er bekannt: Dem Vorziehen der Steuerreform, das die Union im Bundesrat ohne weiteres verhindern könnte, will er sich nicht in den Weg stellen.

 In die Waagschale werfen will er die bayerischen Stimmen nur gegen den Haushaltsplan für das Jahr 2004 – wohl wissend, das der Etat einer Zustimmung durch die Länderkammer gar nicht bedarf. Wer solche Logik nicht versteht, dem hilft ein Blick in den Kalender auf die Sprünge: In weniger als acht Wochen ist in Bayern Landtagswahl. Da scheinen Stoiber starke Worte in Richtung Berlin angeraten – aber nur wenn sie die heimischen Wähler nicht um den heiß ersehnten Steuernachlass bringen.

 Da kommt es gerade recht, dass die Union jetzt auch ihre Mitwirkung an der geplanten Föderalismusreform in Aussicht stellt. Denn auf den ersten Blick scheinen Stoibers Äußerungen die These zu bestätigen, dass der deutsche Dauerwahlkampf mit durchschnittlich drei bis vier Landtagswahlen pro Jahr jede durchgreifende Reform des deutschen Steuer- und Sozialsystems unmöglich macht. Doch ist dieser Dauerwahlkampf bei der Debatte über den Föderalismus gar nicht das entscheidende Problem.

 Was ist denn daran schlecht, dass die Wähler hierzulande öfter als nur einmal in fünf Jahren ihr Urteil über den Politikbetrieb sprechen dürfen? Und wer sagt, dass sie jede noch so kleine Veränderung sofort abstrafen, auch wenn dahinter ein Konzept zu erkennen ist? Die Probe aufs Exempel hat jedenfalls noch niemand gemacht.

 Was die Union derzeit so schlecht aussehen lässt, ist gerade nicht ihr überbordender Wille zur Veränderung – sondern das ständige Schielen auf taktische Vorteile. Stoiber will ein gutes Wahlergebnis in Bayern, der Hesse Roland Koch will Kanzlerkandidat werden, und Angela Merkel will sich gegen ihn behaupten. Sie alle überlegen täglich neu, wie sie ihr Ziel am wirksamsten erreichen können – und bewirken durch ihr übertriebenes Taktieren beim Wähler nur Verdruss.

 Zwar müssen die Auswüchse des Föderalismus dringend beschnitten werden. Der Kompetenzwirrwarr zwischen Bund und Ländern, die Dauerblockade im Bundesrat – das alles bedarf dringend der Reform. Aber wer sich über zu häufige Wahlen beklagt, der beleidigt nur die Wähler. RALPH BOLLMANN

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