Methode und Effekt

Die Tate Britain widmet Bridget Riley eine große Retrospektive. Ihr früher Durchbruch in den 60er-Jahren ist der Künstlerin immer eine Last gewesen

von MARION LÖHNDORF

Einer Anekdote zufolge meidet Bridget Riley das Blättern in Zeitschriften wie eine ansteckende Krankheit: So sehr verabscheue sie jede Form von Populärkultur, heißt es. Mit der vordergründigen Schönheit ihrer geometrisch-dekorativen Werke hatte Bridget Riley lange ihre Last: Nachdem sie innerhalb einer Op-Art-Ausstellung in New York 1965 ihren Durchbruch erlebte, verleibte sich die Modewelt ihre Muster ein und dekorierte Krawatten, Lampenschirme und Kleider mit Riley-Inspiriertem: Op war hip. Die Künstlerin klagte damals vergebens gegen die Vulgarisierung ihres Werkes. Genauso vehement kämpfte sie gegen die Etikettierung ihrer Kunst als „Op-Art“ und für die Anerkennung als „seriöse Malerei“. Dieser Feldzug führte schließlich zum Erfolg. Heute gilt sie als eine der angesehensten Künstlerinnen Großbritanniens; die Tate Britain widmete ihr jetzt ihre erste große Retrospektive, die vierzig Jahre ihrer Arbeit umfasst.

Die Retrospektive beginnt mit einem Blick auf die Gegenwart, das monumentale Werk „Composition with Circles“ (2003), das eine ganze Wand einnimmt. Schwarze Kreise von etwa einem Meter Durchmesser auf weißem Grund überschneiden sich darin. Das Werk scheint auf die Struktur der intelligent konzipierten Schau selbst zu verweisen: Der erste Raum, der von „Composition with Circles“ beherrscht wird, öffnet sich nach rechts und links, auf der einen Seite zu den Anfängen ihrer künstlerischen Entwicklung, auf der anderen zu den jüngsten Werken. Von jeweils einer Seite ausgehend, lässt sich ein Rundgang durch Bridget Rileys Universum antreten, der bei den „Circles“ wieder endet.

„Composition in Circles“ ist ein ideales erstes Bild für eine Riley-Retrospektive, denn es enthält alles – oder wenigstens viel von dem –, was ihre Arbeit ausmacht. Auf den ersten Blick wirkt es wie eine ganz einfache, geometrische Anordnung. Nach kurzer Betrachtungszeit beginnen sich die Kreise langsam zu bewegen, steigen auf und ab; so wenigstens scheint es. Dieser Effekt hat Methode. Riley hat mehr als vierzig Jahre ihrer Karriere damit zugebracht, ihr Publikum durch optische Täuschungen Dinge sehen zu lassen, die nicht da sind. In „White Discs“ (1964) etwa sind schwarze Scheiben auf der Leinwand zu sehen. Aber man glaubt, daneben auch die Schatten von weißen Scheiben wahrzunehmen: eine, wie der Titel zeigt, kalkulierte Wirkung. In „Blaze“ (1962) scheint sich eine Spirale zu bewegen, in der die Zwischenräume der Linien mit gegenläufigen schrägen Streifen ausgefüllt sind. Oft stellt sie in ihren Bildern eine geometrische Ordnung her, die sie mit kleinen Abweichungen der Symmetrie wieder durchbricht und so Irritationseffekte erzielt.

Es ist gelegentlich gesagt worden, dass Riley die Mechanismen des Sehens so bewusst gemacht habe wie kein anderer Maler vor ihr oder zu unserer Zeit. Das mag so sein; aber dieser Bewusstmachungsprozess hat seinen Preis. Die Spiele, die Riley mit der Wahrnehmung spielt, tun, in der Aufreihung einer Ausstellung betrachtet, weh. Sie können Kopfschmerz und Schwindel auslösen. Sie lassen dem Betrachter oft nur beim Abstandnehmen oder Wegsehen eine Chance, sich bewusst zu ihnen zu verhalten. Denn zunächst spielen sie der Wahrnehmung stets einen Streich. Riley verkündete einmal, dass man von ihren Werken „heimlich eingenommen und entwaffnet wird“. Der Effekt – Einnahme und Entwaffnung des Betrachters durch Täuschungsmanöver – steht in einem geradezu boshaften Spannungsverhältnis zur dekorativen Schönheit ihrer Kunst.

Ironischerweise haben die Täuschungen in Rileys Werk beim äußeren Augenschein des fertigen Produkts kein Ende. Denn obwohl ihr Name am Außenrand ihrer Bilder steht, hat sie doch keines von ihnen selbst gemalt. Schon in den frühen Sechzigerjahren beschäftigte sie Assistenten, die sie mit genauen Anweisungen versah. Ein Raum in der Ausstellung zeigt ihre genauen, mit Maßangaben versehenen Skizzen. Hätte auch irgendjemand ihre Bilder danach fertigen können, und wäre es dann immer noch ein „echter“ Riley gewesen? Man fragt sich, ob sie mit ihrer Methode auch solche Fragen provozieren will. Jedenfalls verwischt sie alle Spuren des künstlerischen Herstellungsprozesses, der ihr an sich nicht wichtig ist. Sie sagt: „Mir scheint, dass die tiefere, wirkliche Persönlichkeit des Künstlers nur im Treffen von Entscheidungen – im Zurückweisen und Akzeptieren, Verändern und Revidieren – zum Vorschein kommt.“

Die Ausstellung macht nachvollziehbar, wie Riley ihr Thema vierzig Jahre fortgesetzt variierte: Nach der Schwarz-Weiß-Phase begann sie langsam die Möglichkeiten der Farbe durchzuspielen und erweiterte erst 1978 (mit „Song of Orpheus“) ihre Palette von drei auf fünf Farben. Man sieht, wie sie ein Thema verfeinert, verlässt, später in Varianten wieder aufnimmt und neu interpretiert. Linien werden im Lauf der Jahre zu durchbrochenen Linien, Punkte und Dreiecke zu Wellen und Zickzacklinien. Ihre Palette hellt sich im Lauf der Jahre auf, wird vielfältiger, ihre Farben werden sanfter; dennoch behalten ihre Werke ihre sonderbare, eigenständige Autorität.

Dass sie trotzdem – und hierin liegt ein weiteres Spannungsmoment ihrer Kunst – auf etwas außerhalb ihrer selbst verweisen, machen die Titel deutlich: „Shift“ (1963), „Arrest“ (1965), „Chant 2“ (1967), „Rattle“ (1973), „New Day“ (1983). Auf die Malerei bezogene Titel wie „Harmony in Rose“ (1997) sind selten. Die meisten Titel beziehen sich auf flüchtige oder veränderbare Wahrnehmungen, Handlungen und Gefühle – optisch schwer oder gar nicht Greifbares. Tatsächlich glaubt man oft, in Rileys Abstraktionen das titelgebende Phänomen ganz konkret übersetzt zu sehen. So etwa, wenn in „Shiver“ (1964) kleine Dreiecke aufeinander fallen und an die Sensation eines Kälteschauers erinnern. Oder wenn in „Loss“ (1964) schwarze Scheiben zur Bildmitte hin zu Seite zu kippen scheinen, immer dünner werden und schließlich verschwinden.

Bis 28. September, Katalog (Tate Publishing) 24,99 £