Naturopfer für Getränkedosen

Isländische Regierung klärt Finanzierung für Staudamm und Aluminiumwerk in einem der letzten unberührten Naturgebiete Europas. Umweltorganisationen setzen die finanzierenden Banken unter Druck, darunter die Deutsche und die Commerzbank

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Allen weltweiten Protesten von Umweltschutzbewegungen zum Trotz ist die isländische Regierung offenbar entschlossen, den Bau eines riesigen Staudamms in einem der letzten unberührten Naturgebiete Europas, dem ostisländischen Karahnjukar-Gebiet nördlich des Vatnajökull, zu verwirklichen. Dort befindet sich der größte Gletscher Europas.

Die Elektrizitätserzeugung des Dammes mit rund 630 Megawatt wird einzig und allein zum Bau und Betrieb eines Aluminiumschmelzwerkes bei Reydarfjördur gebraucht, deren Produktion wiederum zu einem großen Teil zu Getränkedosen werden soll.

Im März waren die letzten Verträge Reykjavíks mit dem US-Aluminium-Konzern Alcoa und der Energiegesellschaft Landsvirkjun sowie der italienischen Baufirma Impregilo unterzeichnet worden. Im Mai hatte ein Gericht in Reykjavík eine erneute Klage der isländischen Naturschutzvereinigung Inca gegen die mit dem Bau projektierten erheblichen Eingriffe in den Wasserhaushalt abgelehnt. Um den 57 Quadratkilometer großen Stausees zu füllen, sollen mehrere Flüsse in unterirdischen Tunneln umgeleitet werden.

Im gleichen Monat zerschlug sich die Hoffnung, dass die Parlamentswahlen möglicherweise zu einem Machtwechsel mit einer Ablösung von Ministerpräsident David Oddson führen könnten. Dieser ist einer der größten Befürworter des Projekts. Und Anfang Juli waren auch die letzten offenen Finanzierungsfragen geklärt worden.

Die vielen Umweltorganisationen, die sich für die Rettung dieser Naturlandschaft und die Errichtung eines Naturschutzgebiets in dieser größten noch bestehenden europäischen Wildnis engagieren, setzen den heranrückenden Baumaschinen zum Trotz ihre Bemühungen fort. Vor allem, um sowohl Alcoa als auch die das Projekt finanzierenden Banken unter öffentlichen Druck zu setzen. Allein der 190 Meter hohe Staudamm mit allen erforderlichen Wasserbauanlagen wie Tunneln und Kanälen soll mehr als eine Milliarde Dollar verschlingen, die ausschließlich über Fremdkredite finanziert werden.

Der norwegische Norsk-Hydro-Konzern, der die Aluminiumschmelze ursprünglich errichten wollte, zog sich wegen dieser Proteste aus dem Projekt zurück, und erst nach langer Suche konnte die isländische Regierung mit der Alcoa einen Ersatz finden. Derzeit herrscht weltweit Überkapazität an Aluminium, sodass nach wie vor fraglich ist, ob es allen Verträgen zum Trotz in einigen Jahren überhaupt zum Bau des Alcoa-Werks kommen wird, oder die gesamte nun beginnende Naturzerstörung bei Bau des Dammes ökonomisch sinnlos bleibt.

Proteste und Boykottdrohungen von Umweltschutzorganisationen führten auch dazu, dass zwei schwedische Baukonzerne, die gut im Rennen für die Auftragsvergabe lagen, sich in letzter Minute aus dem Angebotsverfahren zurückzogen. „Umweltgesichtspunkte waren ein Faktor, der unsere Entscheidung beeinflusste“, erklärte Gisela Lindstrand, Pressechefin des NCC-Konzerns. Und ihr Kollege Peter Gimbe von Skanska betonte, dass auch für seine Firma „Umwelt und Ethik“ maßgeblich waren.

Islands Industrieministerin Valgerdur Sverrisdottir beschimpfte die schwedischen Konzerne, die sich von der Umweltbewegung beeinflussen ließen, daraufhin als „feige“ und warf Schweden angesichts der eigenen Atomkraftwerke Doppelmoral vor.

In Deutschland stehen vier Banken hinter dem Bankenkonsortium für den Karahnjukar-Bau: die Deutsche Bank, die Landesbank Baden-Württemberg, die Postbank und die Norddeutsche Landesbank. Die Commerzbank ist darüber hinaus seit Jahren ein wichtiger Kreditgeber der Energiegesellschaft Landsvirkjun und hatte erst jüngst einen Kredit zur Verfügung gestellt.

Umweltschützer kritisieren besonders die Beteiligung der Deutschen Bank, die in ihrem jüngsten Nachhaltigkeitsbericht behauptete, bei allen Großprojekten eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.

Henry Mathews, Geschäftsführer des Dachverbands der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre, sagt gegenüber der Internet-Zeitung „NGO-Online“: „Uns ist vollkommen unverständlich, dass öffentlich-rechtliche Institutionen wie die beiden Landesbanken, aber auch die Deutsche Postbank AG das Geld ihrer Kunden dazu missbrauchen, Umweltzerstörung in Island zu finanzieren.“