Wieso? Weshalb? Warum?

Alle Proteste haben nichts genützt: Die „Sesamstraße“ läuft heute zum letzten Mal um 18 Uhr. Viele Eltern werden also auf ein lieb gewonnenes Zubettbringritual verzichten müssen – für die Verantwortlichen des NDR ist das ein „Nostalgieproblem“

von SILKE BURMESTER

Was ein Glück für den NDR, dass die dicke Walrossdame Antje über Nacht entschlief, bevor irgendwelche Tierschützer auf die Idee kamen, für oder gegen lebensverlängernde Maßnahmen zu protestieren. Nach dem Debakel um die „Sesamstraße“ hätte sich die ARD-Anstalt trotz aller ostentativer Ignoranz ein weiteres emotional gesteuertes Aufsehen kaum leisten können.

Mit dem heutigen Tage nämlich setzt der NDR die „Sesamstraße“ vom letzten verbliebenen 18-Uhr-Sendeplatz ab und nimmt damit Kindern und Eltern die Möglichkeit, den Tag mit der Traditionssendung ausklingen zu lassen.

Dem Rausschmiss setzen die Programmverantwortlichen diverse Argumente entgegen: „Der 18-Uhr-Sendeplatz sei die vierte Wiederholung der Folge“ oder „Die Sendung läuft doch morgens um 7.30 Uhr“ und um 12.25 Uhr im Kinderkanal (KiKa). Es könne „nicht als sinnvoll betrachtet werden, dass sich die ARD-Sender auf der einen Seite diesen Zielgruppenkanal für Kinder leisten […] und ihm auf der anderen Seite […] im NDR-Fernsehen Konkurrenz machen“. Doch die Argumente laufen an der eigentlichen Problematik vorbei: Die meisten Kinder sollen weder um 7.30 Uhr noch um 12.25 Uhr fernsehen.

Die NDR-Chefs wollen eine Programmreform, eine Erneuerung und Modernisierung des Senders, der sich längst nicht mehr als „Das dritte Programm“ verstanden wissen will. 3,6 Prozent Marktanteil um 18 Uhr (1. Quartal 2003) reichen da nicht aus. Heftig fielen die Reaktionen auf die Zuschauerproteste aus, die vor allem eines waren: emotional. Die Vorwürfe werden als „Nostalgieproblem“ abgetan: nur weil die Eltern der heutigen Vorschulkinder mit dem 18-Uhr-Sendeplatz aufgewachsen sind, wollten sie nun daran festhalten. Das ist zwar nicht falsch, doch wurde hier die inhaltliche Bewährung des Platzes einfach unter den Argumentationstisch gekehrt. Tatsächlich ist es schwierig, gegen einen emotional motivierten Protest anzukommen. Und so muss der Tod von Antje aus Sicht des NDRs zumindest eine günstige Fügung sein: Zeigt er doch den „fehlgeleiteten“ Eltern, dass der Punkt gekommen ist, endlich anzuerkennen, dass ihre Zeit um ist. Dass es nicht länger die 70er sind, in denen wir leben, sondern eine Zeit der Effizienz. Der NDR soll nicht länger das dritte Programm sein, sondern „Das Beste am Norden“.

Heute wird die letzte „Sesamstraßen“-Folge in Deutschland um 18 Uhr über die Bildschirme flimmern – immense Proteste, zuletzt eine große Unterschriftenaktion von Radio Hamburg haben nichts genützt. Mütter und Väter werden also auf ein lieb gewonnenes Zubettbringritual verzichten müssen. Und damit auch auf Ernies wunderbares „Chchrrrrrrrrrrrr“.