DIE RUSSISCHE ENTSPANNUNGSPOLITIK FÜR TSCHETSCHENIEN IST EINE FARCE
: Gewalt ohne Ende

Eins ist klar: Sollte es wirklich ein tschetschenischer Selbstmordattentäter gewesen sein, der am vergangenen Freitag in Mosdok sich und mindestens 50 weitere Menschen tötete, so ist diese Tat ohne Wenn und Aber zu verurteilen. Wie so oft in den vergangenen Wochen haben wieder einmal Unschuldige für den mörderischen Kampf bezahlt, der Tschetschenien seit Jahren erschüttert.

Doch auch wenn der Zweck nicht die Mittel heiligt, bleibt die Frage: Wie sollen sich die Tschetschenen in der Weltöffentlichkeit überhaupt Gehör verschaffen? Die westliche Staatengemeinschaft hat sie schließlich längst abgeschrieben. Von der von Russlands Präsident Wladimir Putin großspurig angekündigten Normalisierung nach der Referendums-Farce im vergangenen März ist nichts zu spüren. Stattdessen bestimmen nach wie vor Mord, Folter, Vergewaltigung und Menschenraub den Alltag der vollkommen entrechteten Menschen in Tschetschenien. Flüchtlinge, die nicht willens sind, freiwillig in ihre „befriedete“ Heimat zurükzukehren, werden dazu gezwungen – wenn nötig mittels brutaler Säuberungsaktionen wie kürzlich in Tschetscheniens Nachbarrepublik Inguschetien.

Auch nach dem jüngsten Anschlag fällt dem Kremlchef Putin, der schon bei seinem Amtsantritt im Frühjahr 2000 die „tschetschenischen Terroristen auf dem Abort kaltmachen“ wollte, wieder nichts anderes ein als die Androhung neuer Gewalt. Schlimmer noch: Um die Illusion einer sich normalisierenden Lage aufrechtzuerhalten, will Putin – allen tatsächlichen Gegebenheiten zum Trotz – am 5. Oktober in der Kaukasusrepublik einen neuen Präsidenten wählen lassen.

Einmal abgesehen davon, dass Moskaus Statthalter in Grosny, Achmed Kadyrow, als Sieger ohnehin schon feststeht und sich Moskau den ganzen Aufwand also sparen könnte: Die tschetschenischen Überzeugungstäter, denen ihr eigenes Leben und das anderer Menschen nichts mehr bedeutet, werten diesen Umstand als neue Kampfansage. Und so ist der nächste Anschlag nur eine Frage der Zeit. BARBARA OERTEL