Der Blick vom Feldherrnhügel

Strategische Architektur: Die Ausstellung „Territories“ in den Kunst-Werken Berlin untersucht aktuelle Prozesse bei der Produktion von Raum und ihre sozialen und politischen Implikationen. Kernstück der Schau ist eine Untersuchung zur israelischen Siedlungspolitik im Westjordanland und Gaza-Streifen

von BRIGITTE WERNEBURG

Der Blick auf das große Panorama einer mediterranen Landschaft ist der vom Feldherrnhügel. Eben weil die große Ausstellungshalle der Berliner Kunst-Werke unterhalb des Eingangsniveaus liegt, ist dieser Strategenblick unvermeidlich. Selten allerdings war er so zutreffend wie jetzt, wo die Halle mit dem riesigen Fotopanorama eines Landschaftsauschnitts bei Jerusalem austapeziert ist. Alles, was man an Schrecken und Schönheit in diesem Gebiet erwarten darf, liegt hingebreitet vor dem Auge des Betrachters: hoch oben die israelische Siedlung Har-Homa, die die palästinensischen Olivenhaine überblickt, deren Idyllik nur durch die in ihnen verstreuten Kanaldeckel gestört wird, die Hinweis darauf sind, dass die Infrastruktur für die weitere Besiedelung schon geschaffen wird; dann der Infanterie-Bunker und die Panzerstellung, die unter anderem auch die Straße, die die Siedlung von ihrer palästinensischen Umgebung unabhängig macht, schützen; das Flüchtlingslager Al-A’za vor Bethlehem und schließlich auch schon der „Jerusalem Separation Fence“.

Die Kunst-Werke, die zuletzt aufgrund ihres für den Herbst geplanten und nun ins Jahr 2004 verschobenen Ausstellungsprojekts „Mythos RAF“ in die Schlagzeilen selbst von Bild gerieten, zeigen also mit ihrer derzeitigen Ausstellung „Territories“ eine nicht minder politisch brisante Schau. Kernstück der Ausstellung ist die Untersuchung des Architektenteams Eyal Weizman und Rafi Segal (Tel Aviv/London) „A Civilian Occupation“, die ursprünglich als offizieller israelischer Beitrag zum Weltkongress der Architektur UIA 2002 in Berlin geplant war. Doch kurz vor dem Kongress entschied der Präsident des israelischen Architektenverbands, Uri Zerubavel, den Beitrag zurückzuziehen. Hier würden, so kritisierte er, „anstelle professioneller politische Botschaften par excellence verbreitet“. Richtiger hätte er gesagt, hier würden die politischen hinter den vermeintlich nur professionellen Botschaften sichtbar gemacht und damit ein Berufsstand und dessen Berufsethik auf den Prüfstand gestellt.

Der niederländische Stararchitekt Rem Koolhaas hat die Idee populär gemacht, die Untersuchung konkreter lokaler Situationen für die Erstellung architektonischer Planmodule zu nutzen, die dann andernorts zur Anwendung kommen können. In ähnlicher Weise veröffentlichte das israelische Ministerium für Wohnungsbau Anfang der 80er-Jahre Richtlinien für den Bau von Wohngebieten in Bergregionen, die dann vor allem im illegalen Siedlungsbau im Westjordanland zur Anwendung kamen, worüber aber nie gesprochen wurde. Weizman und Segal nun sprechen darüber, und sie zeigen mit Fotografien, Videos, Modellen und Karten die Ergebnisse, wenn Architekten „in negativer Planung involviert sind, in einer Umkehrung ihrer professionellen Praxis, wie ein Arzt, der an Folterungen mitwirkt“, wie sie unverblümt sagen. Schön in parallelen Ringen um die Gipfel angeordnet, sind die Siedlungen wahre Wehrdörfer mit einem äußeren und einem inneren Ring, wobei die Häuser des inneren Rings die Lücken des äußeren füllen. In diesen Häusern weisen die Schlafzimmer nach innen zum Siedlungskern, während die Wohnzimmer nach außen weisen, was einen großartigen Ausblick auf die umgebende Landschaft garantiert und zugleich die visuelle Kontrolle der Umgebung. Ähnlich kontrollierend wie konsumierend ist der Blick des Besuchers, wenn er von oben das Panorama in der Ausstellungshalle studiert.

Wie kaum irgendwo sonst präsentiert sich das Problem der Produktion von Macht anhand der Produktion von Raum, also seiner Eroberung, Besetzung, Verteidigung und Kontrolle, so verdichtet wie in der Konfliktzone Israel/Palästina, wo im Moment ein weiterer Nahostfriedensplan an jener Mauer zu scheitern droht, die im großen Panorama als „Separation Fence“ aufscheint. Doch die Ausstellung nimmt auch andere Spuren auf. Die Mailänder Gruppe „Multiplicity“, die mit ihrem Projekt „Solid Sea“, das die Geschichte eines untergegangenen Flüchtlingsschiffs vor Sizilien recherchierte, auf der documenta XI vertreten war, arbeitet einen Katalog spezifischer Grenzsituationen aus, wie sie in Israel/Palästina, aber auch anderswo im Mittelmeerraum und im globalen Maßstab zu finden sind. AnArchitektur, eine Berliner Gruppe, geht der Rolle extraterritorialer Räume im Zusammenhang mit der Gültigkeit internationaler Menschen- und Bürgerrechte am Beispiel von Guantánamo Bay nach. Der amerikanische Künstler Sean Snyder verengt dann den Focus auf territoriale Inseln, wie die in den USA und nun auch zunehmend in China beliebten Gated Communities oder die US-Militärstützpunkte in Europa.

Obwohl „Territories“ notwendigerweise Recherchen ausstellt, Arbeiten, die mit wenig sinnlichem Material wie Karten, Modellen, Statistiken und Daten auskommen, gelingt den Ausstellungskuratoren, Anselm Frank von den Kunst-Werken, Rafi Segal und Stefano Boeri, einer der Mitbegründer von Multiplicity, eine ansprechende Präsentation. Einerseits regt sie zur weiteren und genaueren Lektüre an, etwa im vorzüglichen Katalog, wo zu erfahren ist, wie auch die palästinensischen Behörden Fragen der Raumordnung und Infrastruktur instrumentalisieren, wenn sie die Flüchtlingslager nicht richtig mit Wasser und Strom versorgen, um nicht zugeben zu müssen, dass diese längst Städte geworden sind. Andererseits erweisen sich über vier Stockwerke hinweg Fotografie und Text beziehungsweise Videofilm und Tonmontage als unschlagbar effektiv in der Verwebung von Information und sinnlichem Eindruck. Mehr Sitzgelegenheiten, die helfen würden, etwa ein Video wie das von Eran Schaerf und Eva Mayer in Ruhe zu betrachten, wären freilich angebracht. Gerade in einer Schau, die sich wie „Territories“ mit dem Verweis auf die harten, physisch spürbaren, materiellen Grenzen polemisch gegen den Raum der davon vermeintlich enthobenen Kommunikation und Medien positioniert.

Bis 24. August, Katalog 30 €