Optimismus und Panikmache

Israelische Geheimdienste warnen vor Entführungen von Soldaten und Zivilisten durch Palästinenser. Gleichzeitig werden die ersten Erfolge der Waffenruhe gelobt

JERUSALEM taz ■ Einen Tag nach der für Palästinenser enttäuschenden Freilassung von nur 334 Häftlingen haben israelische Sicherheitsorgane gestern erhöhte Alarmstufe ausgerufen. Nach Geheimdienstinformationen soll es 14 Hinweise auf geplante Entführungen von Soldaten und Zivilisten geben, trotz Waffenruhe (arabisch „Hudna“).

Ende Juli war die Leiche eines vermutlich von Terroristen ermordeten Soldaten aufgefunden worden. Kurz darauf entkam ein Soldat einem Versuch dreier Männer „mit arabischem Akzent“, ihn in ein Auto zu zerren, im letzten Moment. Seit einer Woche sind die 18-jährige Dana Bennet aus Tiberias und der 19-jährige Religionsseminarist Eliezer Sussia aus Jerusalem verschwunden.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Vermissten von Palästinensern entführt wurden. An prominenter Stelle der täglichen Nachrichten rangieren überdies Meldungen über Verhaftungen von Angehörigen vermeintlicher Terrorzellen im Westjordanland durch israelische Militärs.

Am Mittwoch wurden auch in Jericho 18 Mitglieder der palästinensischen Sicherheitskräfte bei einer Razzia unter dem Verdacht festgenommen, sie seien in die Herstellung von Kassam-Raketen verstrickt. Seit Monaten war die Armee nicht mehr nach Jericho eingedrungen. Seit Ende Juli weisen Sicherheitsquellen darauf hin, dass Dutzende gesuchter Terroristen sich neuerdings nach Jericho abgesetzt hätten.

Die Bevölkerung wird täglich mit gemischten Botschaften verwirrt. So wird die bessere Zusammenarbeit zwischen israelischen und palästinensischen Sicherheitsapparaten seit der Hudna von Anfang Juli gelobt, die zu einem 80-prozentigen Rückgang der Opferzahl palästinensischer Attacken geführt hat: 32 Israelis waren noch im Juni getötet worden, nur vier im Juli.

Dagegen spricht die Behauptung von rechten Politikern, Siedlern und Geheimdienstquellen, die Terrororganisationen benutzten die Ruhe zur Reorganisation. Das soll den Vorwurf an Premier Abu Mazens Palästinenserbehörde unterstreichen, sie sammle keine illegalen Waffen ein und mache keine Anstalten, den Terror auszurotten.

Israelische Kommentatoren schreiben viel über Zusammenhänge zwischen demonstrativem Friedensoptimismus und Panikmache. Der Waffenstillstand, das Aufatmen der Bürger und die diplomatischen Aktivitäten nützen Premier Scharon in einer Zeit, in der gegen seinen Sohn Gilad wegen finanzieller Deals der Scharon-Familie ermittelt wird. Der Vorwurf an die Palästinenserbehörde, sie bekämpfe den Terror nicht ernsthaft, entbindet Scharon von „schmerzhaften Konzessionen“ in den Palästinensergebieten, die ihn in Konflikt mit den Siedlern brächte.

Neueste Terrorwarnungen relativieren auch die Debatte um den Zaun: Während US-Präsident Bush Israel für den Bau rügt und eine Kürzung der neun Milliarden US-Finanzhilfe an Israel droht, ist die umstrittene Trennmauer leichter als legitimer Schutzwall zu verkaufen, wenn Angst vor Anschlägen gerechtfertigt scheint. ANNE PONGER