Der Meister des Deckblatts

Alejandro Robaina ist eine Tabaklegende. Auch wenn seine eigene Marke noch jung ist

von KLAUS WITTMANN

Sommer 1997, Barcelona. Kurz vor dem Rückflug von einem Reportagetermin wollte ich mich am Flughafen noch schnell mit einer Kiste Cohiba Lanceros und einer Kiste der fantastischen Trinidad Fundadores eindecken, als es zu meiner ersten Begegnung mit ihm kam. Alejandro Robaina. Das Bild eines zufrieden dreinblickenden alten Mannes war da auf einer Zedernholzschachtel zu sehen – umrahmt von Tabakfeldern. Obwohl ich Zigarrenkenner bin, hatte ich von dieser Havannamarke noch nie gehört.

Dass ich den abgebildeten Zigarrenbauer persönlich einige Jahre später auf seiner „Vega Chuchilla de Barbacoa“ im legendärsten Tabakanbaugebiet der Welt treffen sollte, ahnte ich nicht. Viel später erst sollte ich auch erfahren, dass die Marke gerade erst auf dem spanischen Markt eingeführt wurde und es insofern nicht verwunderlich war, dass ich Robaina nicht kannte. Für mich gab es in diesem Moment nur die Kiste. „Totalemento a mano“ stand drauf, und drin waren perfekt gerollte Havannas. Meine Neugier war geweckt. Ich verzichtete auf die Cohibas und griff stattdessen zu den Robainas.

Auf diese erste Begegnung folgte erst ein paar Jahre später die langsame Annäherung an den Namensgeber. Ich erfuhr, dass die Marke „Vegas Robaina“ einer Legende gewidmet war. Erstmals unter Fidel Castro wurde eine Zigarrenmarke aus Kuba nach einem noch lebenden Tabakpflanzer benannt. Kein Wunder, hat es doch dieser inzwischen 84-jährige Don Alejandro Robaina zu Weltruhm gebracht; hat er es doch geschafft, die besten Deckblätter der Welt anzubauen, deren Qualität für viele Kenner die entscheidende Zutat einer hervorragenden Zigarre ist. Was früher nur eine Handvoll ausländischer Aficionados wusste, verbreitete sich innerhalb weniger Jahre in der Raucherszene wie ein Lauffeuer. Bei Zigarrenliebhabern auf der ganzen Welt machte die „Vegas Robaina“ mit dem Bild von dem zerknitterten Gesicht und dem obligaten Strohhut die Runde. Rechtzeitig zum immens ansteigenden Kuba-Tourismus.

So eindrücklich wie meine erste, einseitige Begegnung mit Robaina war auch die Vorgeschichte des tatsächlichen Treffens. Bei einem ausgedehnten Spaziergang durch das Vinalestal, das malerisch-urzeitliche Tabaktal mit den riesigen Mogotes-Hügeln, diesen jähen Erhebungen aus verwittertem Kalkgestein, und der roten Erde, auf der der weltberühmte Tabak wächst, rückte mit einem Mal für uns einen Besuch bei der „Legende Robaina“ in greifbare Nähe. In einer „Casa de Tabaco“, einer Hütte, in der die edlen Tabakblätter zum Trocknen aufgehängt sind, drehte uns ein Zigarrenbauer eine Puro. Wir revanchierten uns mit einem Schluck Anejo, einem siebenjährigen Rum. Ein paar Brocken Spanisch, Englisch und viel, viel Zeichensprache ließen uns eintauchen in die Welt des höchsten Rauchgenusses, eine Welt, die von Stolz und Respekt geprägt ist.

Die Einlagen, also die inneren Blätter für die Cohiba und Montecristo, baue er auf seinen Feldern hier unten an, erklärte uns der Bauer qualmend. Die Deckblätter hingegen – bekanntermaßen besonders wichtig für den perfekten Geschmack einer Zigarre –, „die kommen von Alejandro Robaina, er ist der Beste.“ Natürlich kenne er ihn. Wer würde ihn nicht kennen.

Am nächsten Morgen machen wir uns also in einem Geländewagen auf den Weg zur Vega Cuchilla. Die Farm ist wahrlich nicht leicht zu finden, aber José, unser Chauffeur, kennt den Weg. Die Fahrt geht zunächst vorbei an unzähligen Tabakfeldern. Plötzlich biegt José nach links in einen besseren Feldweg ein, eine Abzweigung, die wir niemals selbst gefunden hätten. Jetzt soll sich zeigen, dass die Entscheidung, mit dem Jeep zu fahren, die richtige war. Nach ungezählten Schlaglöchern liegt sie endlich vor uns, die Farm von Don Alejandro Robaina.

Ein echter Robaina – wenn auch „nur“ der Enkel – begrüßt uns auf Englisch und führt uns in die zwei riesigen, palmengedeckten Holzhütten. Große Tabakblätter füllen den Raum – zum Trocknen aufgehängt. Hier weiht uns Hiroshi Robaina in das Geheimnis dieser ganz besonderen Pflanzen ein. Er kennt es – vor knapp einem Jahr hat der junge Mann in Adidas-Trainingshose den Betrieb übernommen.

Und dann – ganz plötzlich – erscheint der Meister selbst vor uns: Dieses faltige und verrunzelte Gesicht, das braun gegerbt ist von der Sonne und beinahe Ton in Ton geht mit den getrockneten Tabakblättern. Mit festem Händedruck begrüßt uns ein kleiner und noch immer äußerst drahtiger Mann, der am 20. März seinen 84. Geburtstag gefeiert hat. Aufgeweckt mustern uns die Augen, die immer in Bewegung zu sein scheinen, die wirken, als hätten sie jeden und alles im Blick.

Der Máximo líder des Tabakblattes bittet uns auf seine Veranda. Er steckt sich eine dicke Havanna an – acht Stück pro Tag rauche er, sagt er, noch bevor wir die Frage, die er schon erwartet hat, stellen können. Mit elf Jahren hat er seine erste Puro geraucht, zeitweise waren es fünfzehn Stück am Tag. Aber inzwischen beschränkt er sich auf acht, die erste davon, wenn frühmorgens über der Vegas Cuchilla die Sonne aufgeht und er stolz über das grüne Meer der Tabakpflanzen blickt.

Für einen Moment taucht Don Alejandro in seinem Schaukelstuhl völlig ab, für den Moment, als er seine Puro anzündet – mit einem modernen Laserjetfeuerzeug, das ihm ein Besucher aus Übersee vermacht hat. Als die Zigarre brennt und die erste dicke Qualmwolke das Gesicht beinahe verhüllt, taucht der quirlige Alte mit einem Mal wieder im Hier und Jetzt auf. Ein Leben lang hat er Tabak angebaut, sagt er. Man hält den Atem an, wenn dieser Mann erzählt.

Hier, auf seiner Veranda, hält er Hof. Achtzig, manchmal noch mehr Zigarrenliebhaber, pilgern Tag für Tag hierher. Nur wenige kommen zu der Ehre, in das schattige hintere Ende der Veranda eingeladen zu werden. Kleine Gesten, die so viel sagen. Als eher schweigsam war er uns geschildert worden, der große alte Mann des kubanischen Tabaks. Doch dem ist keineswegs so – es sprudelt geradezu aus ihm heraus.

Viel später erst fällt uns ein Artikel aus dem Internet in die Finger, in dem wir lesen können, dass der Tabakguru aus dem Tabakparadies Vuelta-Abajo, sehr zum Leidwesen Fidel Castros, viel zu viel über den richtigen Tabakanbau erzählt. Castro ist bekannt dafür, dass er Details zur Havannaherstellung schützen lässt wie ein Staatsgeheimnis. Aber Don Alejandro genießt eben Sonderrechte auf Kuba.

Robaina-Tabakblätter gediehen hier auch 1979, im schlimmsten Tabakkrisenjahr auf Kuba seit Menschengedenken. Als Annus horribilis ging es in die Tabakgeschichte ein. Ein Großteil der kubanischen Tabakernte war einem heimtückischen Blauschimmel zum Opfer gefallen. Doch Alejandro Robaina konnte seine Erträge damals sogar noch steigern. Sein in Jahrzehnten gereiftes Wissen ließ ihn nicht im Stich: Zur rechten Zeit hatte er das richtige Mittel gespritzt, und sein Tabak wuchs.

Doch gespritzt, versichert der qualmende Oldtimer mit dem zerfurchten Gesicht, werde auf seiner Farm nur ganz wenig. Den Tabak muss man spüren, man muss fühlen, wann er welche Pflege braucht. „Einmal“, erinnert sich ein guter Freund der Familie, „saßen wir Mittags auf der Veranda. Der Don sagte, wir müssten nochmals rausfahren auf die Felder. Auf die Frage: Wieso das jetzt plötzlich?, meinte er nur: Weil es heute noch regnet und wir die Erde vorher noch umpflügen müssen.“ Etwas ungläubig hätten die Pflanzer den Kopf geschüttelt, es war keine Wolke am Himmel. „Am Abend hat es dann geregnet, und Don Alejandro grinste nur still in sich hinein.“

Wie von einer Geliebten spricht der verschmitzte Mann mit der ungebrochenen Lust am Rauchen von den Tabakblättern. Er freut sich, als ich ihm von meiner ersten Begegnung mit einer Robaina in Barcelona erzähle. Inzwischen war er selbst in Spanien. Wie überhaupt dieser zähe kleine Mann die halbe Welt bereist hat und es nach wie vor, in Begleitung seines Neffen, tut. Der Buena Vista Tabac Club quasi.

Am liebsten aber sei er auf seiner Vega, sagt Alejandro Robaina. Dann packt er das Familienalbum aus; erzählt von seiner Freundschaft mit Hemingways Skipper, von seinen Begegnungen mit Staatsoberhäuptern und Schauspielern, die im Qualm seiner Zigarren dahinschwelgen. Ein schillernder Spaziergang durch sein Leben wird der Blick in sein Album, in das Album des „Fidel der Tabakblätter“.

Eingebunden ins Tabakgeschäft ist die ganze Familie. Nicht nur bei der Arbeit auf den Tabakfeldern und der Finca. Sein Sohn Alejandrido zum Beispiel – fünf Kinder hat Robaina insgesamt – kümmerte sich bis zu seinem plötzlichen Tod vergangenes Jahr um die Buchhaltung, zusammen mit der Tante. 2002 war für den alten Mann ein schweres Jahr. Nicht nur der Sohn, auch seine Frau starb.

Don Alejandro selbst ist sehr stolz auf die Qualität seines Tabaks, doch der Erfolg hat ihm den Blick nicht verstellt für das große Ganze. Irgendwie scheint er zu wissen, dass guter Tabak allein noch keine ganz große Marke ausmacht; dass es die Kontinuität der Rezeptur über viele Jahre hinweg ist. Und da ist die Robaina eben noch ein junges Mädchen. „Tabak ist eine Leidenschaft, die wir alle im Blut haben“, erzählt der runzlige alte Mann im Schaukelstuhl. Spätestens jetzt ist die nächste Zigarre fällig. Rauchzeichen steigen auf von der Vega Cuchilla de Barbacoa.

KLAUS WITTMANN, 47, lebt als freier Radiojournalist in Heimertingen bei Memmingen und schreibt seit 16 Jahren für die taz. Er testet gerne junge Zigarrenmarken, raucht aber am liebsten alte