Die Eminenzen

Der damalige Rektor des Münchener Zeitungswissenschaftlichen Instituts, Otto B. Roegele, 82, war außerhalb des Instituts kein Unbekannter. Seit 1963 gab er den Rheinischen Merkur heraus, eine entschieden konservative Wochenzeitung, war Dozent für die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU, einen entschieden konservativen Verein, und durfte im ZDF schon mal entschieden konservative Kommentare nach den Nachrichten verlesen. Typ: charismatisch wie eine graue Maus. Im Dezember 1967 hatte er in einem Rundfunkinterview geäußert: „Die Arbeit mit den Studenten hält jung, sie sorgt für immer neue Überraschungen, zwingt zur Selbstkritik und verzögert vielleicht sogar den Prozess des Alt- und Starrwerdens.“

Roegeles Kampfhund Nummer eins in den Tagen vor und während der Besetzung war Peter Glotz, damals knapp dreißig und von politischem und universitärem Ehrgeiz gebeutelt. Er saß als Vertreter der wissenschaftlichen Assistenten im akademischen Senat, hatte im Vorjahr promoviert („Buchkritik in deutschen Zeitungen“) und mit dem anderen SPD-Mann am Institut, Wolfgang Langenbucher, zwei Bücher verfasst, die zu lesen einem als Studenten dringend geraten schien – Themen daraus kamen in den Prüfungen vor.

Bei der Besetzung des Instituts schienen Glotz und Langenbucher einen zähneknirschenden Spaß an der verbalen Auseinandersetzung zu haben. Sie rieben sich gern an den rhetorisch flinken unter den Studenten. Wahrscheinlich übte Glotz schon für künftige Auftritte. Die SPD hatte ihn gerade als Bundestagskandidat für den Wahlkreis Fürstenfeldbruck aufgestellt. Er war der letzte Vertreter der Institutsmacht in jener Nacht, er hielt die Stellung, verteidigte seine wissenschaftliche Welt, das Hausrecht und die Universität, die ihn so erfolgreich gemacht hatte. Erst spät warf er das Handtuch, als die verbliebenen Besetzer sich fast einstimmig weigerten, dem Räumungsbefehl nachzukommen. Er verschwand, kurz bevor die Bullen ankamen – wenn die SPD nicht mehr hilft, muss halt Polizeigewalt her. Viele Jahre später wurde Peter Glotz Gründungsrektor der Universität Erfurt.

Der dritte Assistent hielt sich bei der eigentlichen Besetzung völlig raus – die Drecksarbeit überlässt man der SPD. Hans Wagner war das trojanische Pferd des Erzbistums im Institut, so klerikal-konservativ und CSU-nah, dass ihn nicht einmal Roegele ernst zu nehmen schien. 1965 hatte Wagner einen Doktor in Zeitungswissenschaft erworben und war Universitätsassistent geworden. Die zwanzig Semester vorher hatte er Theologie, Zahnmedizin, Philosophie und Psychologie studiert. Wagner sollte sich später noch ganz entschieden im rechtskonservativen Spektrum profilieren. 1969 sagte er den schönen Satz: „Mir ist es gleich, ob die Leute aus meinem Proseminar für den Völkischen Beobachter oder Bild schreiben.“ Noch heute arbeitet er als Professor an der Münchner Uni – auch wenn die Zeitungs- jetzt Kommunikationswissenschaft heißt.

Und dann gab’s noch Heinz Starkulla, den einzigen unter den Hochschullehrern, der von den Studenten allgemein respektiert wurde. Starkulla war mal zwei Jahre Gastprofessor in Cincinnati, Ohio, gewesen und strahlte etwas liebenswürdig Weltoffenes aus. Er hatte keinen Aufstiegsehrgeiz mehr in der Unihierarchie, war so alt wie Roegele, also zwanzig Jahre älter als die anderen Assis, aber ohne Lehrstuhl, und er musste sich und anderen nichts mehr beweisen. Ein kluger, feiner Mensch – das wussten sogar die Radikalen, die auf die Besetzung hingearbeitet hatten: „Auch für Mitglieder der Basisgruppe“, stand in otto caput Nr. 1, „ist es nicht ehrenrührig, Starkulla sympathisch zu finden.“ HP