Olle Kamelle

Die „Welt“ wirft Günter Wallraff Stasi-Mitarbeit vor. Die Birthler-Behörde nennt das „kalten Kaffee“. Der Publizist spricht von einem Rufmordversuch

von RALF GEISSLER

Es klingt nach einer heißen Story. Redakteure der Welt wollen den Publizisten Günter Wallraff als Stasi-Mitarbeiter entlarvt haben. Eine Karteikarte belege, dass Wallraff „unter dem Nummer XV/485/68 bei der Auslandsspionage des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) registriert“ war. Deckname: IM Wagner. Doch tatsächlich ist die Story ziemlich lau. Bereits 1992 und 1998 waren Wallraff Stasi-Kontakte nachgesagt worden.

Der Pressesprecher der Birthler-Behörde, Christian Booß, spricht deshalb von „kaltem Kaffee“. Schon damals habe die Behörde die Vorwürfe nicht bestätigen können. Auch heute habe man keine Veranlassung zu glauben, dass Wallraff wissentlich Zuträger der Stasi gewesen sei.

Woher die Welt das angeblich belastende Dokument hat, konnte die Behörde nicht sagen. Die Zeitung stützt ihre Anschuldigungen auf eine Karteikarte. Darauf seien Wallraffs Name, sein Geburtsdatum und eine Registriernummer vermerkt. Dieselbe Registriernummer tauche auch in der zentralen Stasi-Datei Sira auf, die auf eine Arbeitsakte mit vier Berichten verweise.

Aber selbst wenn die Welt über eine solche Karteikarte verfügt, beweist das noch keine bewusste Stasi-Tätigkeit Wallraffs. Der Publizist hat die DDR oft besucht und dort in Archiven über die NS-Vergangenheit bundesdeutscher Eliten recherchiert. Gut möglich, dass die Stasi den Besucher unter dem Decknamen „Wagner“ führte. Auszuschließen ist nicht, dass sie seine Gespräche mit den Archivmitarbeitern zu Berichten verarbeitete.

Sicher ist, dass der DDR-Geheimdienst 1976 ein Personendossier zu Wallraff anfertigte und den Kontakt zu ihm suchte. Aus den Akten geht jedoch hervor, dass sich Wallraff nicht in die gewünschte Richtung entwickelte. So wird bedauert, dass er „sich nicht vom marxistisch-leninistischen Standpunkt leiten ließ“. Über diese entlastenden Passagen schreibt die Welt nichts.

Wallraff wirft der Zeitung „Rufmordversuch“ vor. „Ich bin deren wiederkehrendes Stasi-Ungeheuer im Sommerloch“, so der Publizist zur taz. Die Welt habe die Geschichte bewusst am Sonntag lanciert, an einem Tag also, an dem in der Birthler-Behörde kein Pressesprecher die Vorwürfe dementieren kann. Wallraff vermutet: „Die wollen alte Rechnungen begleichen.“

Vor 26 Jahren hatte sich der Publizist unter dem Namen Hans Esser bei der Bild-Zeitung eingeschlichen, die wie die Welt im Axel Springer Verlag erscheint. Nach seinen Recherchen schrieb er den Bestseller „Der Aufmacher“, ein kritisches Buch über Lügen und abgehalfterte Boulevardjournalisten. Von dem Imageschaden hat sich Bild viele Jahre nicht erholt.

Als das Blatt vor einem Jahr 50. Geburtstag feierte, vermieste Wallraff die Partylaune erneut und warf den Boulevardschreibern vor, weiterhin zu lügen. „Beim Axel Springer Verlag bin ich als Feindbild gespeichert, das grenzt schon fast an Paranoia“, so der Publizist. An dieser Einschätzung dürfte zumindest mehr dran sein als an dem Vorwurf, Wallraff habe bewusst für die Stasi gespitzelt.

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