„WELT“: GÜNTER WALLRAFF IST UND BLEIBT SPRINGERS LIEBLINGSFEIND
: Nachrichten von gestern

Das Springer-Blatt Die Welt behauptet, Günter Wallraff habe von 1968 bis 1971 als Informeller Mitarbeiter (IM) für die Stasi gearbeitet. Das ist die Nachricht – und sie ist mit Vorsicht zu lesen. Wer genauer hinschaut, findet in dem Text Formulierungen, die anzeigen, dass die Beweislage eher dünn ist: etwa, dass sich „ein Verdacht erhärtet“ habe. Das Ganze sieht bislang aus wie ein spätes Revanchefoul, wie ein grenzwertiger Versuch auf schmaler Faktenbasis, eine alte Feindschaft nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Immerhin hat Wallraff als Undercover-Journalist Hans Esser seinerzeit das Image der Bild-Zeitung heftig ramponiert. Das ist zwar schon ein Vierteljahrhundert her, aber der Springer Verlag pflegt mit großer Sorgfalt seine Gegnerschaften von gestern, auch wenn die Gründe dafür im postideologischen Zeitalter schon weitgehend vergessen sind.

Kurzum: Die These, dass Günter Wallraff wissentlich für die Stasi gearbeitet hat, ist unbewiesen. Entweder verfährt die Welt besonders raffiniert, legt nun noch etwas Handfestes auf den Tisch, und wir befinden uns erst im Prolog – oder das Blatt hat schlicht übertrieben und ist dabei, seine Glaubwürdigkeit endgültig zu ruinieren.

Richtig ist allerdings, dass linker Journalismus im Westen der Stasi unbestreitbar ins Konzept passte. Es gab eine ideologische Schnittmenge zwischen der DDR und der abhängigen Linken, vor allem was das Bild des Westens betrifft: Die Kontinuität der Nazi-Eliten, die Diktaturen in Spanien und Griechenland, westliche Rüstung und Armut, all das waren Themen, in denen der Stasi die Kritik von Leuten wie Wallraff zupass kam. Auch Wallraff brauchte bis zu Biermanns Ausbürgerung 1977, ehe er jede Illusion über die DDR verlor.

Die Stasi versuchte überdies, die Westlinke für Desinformationskampagnen einzuspannen. Sie fälschte Dokumente über die Nazi-Vergangenheit von Westpolitikern – berühmt wurde etwa die Legende, dass Heinrich Lübke KZs entworfen hatte. Sich damit zu befassen, ist notwendig. Denn daraus lässt sich lernen, wie vorsichtig unabhängige Journalisten sein müssen, wenn Interessen eines Staates, zumal eines diktatorischen, im Spiel sind.

Mittlerweile haben sich Zeithistoriker mit dem Einfluss der Stasi auf die Westlinke befasst. Der Aufwand der Stasi war beträchtlich, das Ergebnis matt, die Westlinke ein eher unzuverlässiger, eigensinniger Verein. Eine Steuerung der bundesdeutschen Linken durch den Osten – ein Lieblingsthema von Springer seit Jahrzehnten – gab es jedenfalls nicht. Das ist die historische Proportion. Sie gilt es im Auge zu behalten. STEFAN REINECKE