Walser besser nicht

Jugend liest: Muss es eigentlich speziell für die Jugend geschriebene Literatur geben?

Der junge Benjamin Lebert ist ein Selbstgänger – Jugend schreibt für Jugend

Brauchen wir Jugendliteratur? Ach, was braucht man schon bei dieser Hitze außer Wasser!? Aber es gibt Leute, die extra an den Strand fahren, um zu lesen: 38 Grad im Schatten und dazu der neue Walser. Auch eine Art Urlaub. Selten allerdings sieht man Jugendliche mit Buch am Strand. Beachball, surfen, baden – aber Robinson Crusoe in der Sandburg? Huck Finn im Tretboot?

Aber zurück zur Frage, die keineswegs Folge übertriebener Strandlektüre ist: „Ist die Literatur, geschrieben für Jugendliche, wirklich notwendig?“ So fragte vor kurzem der einzige deutsche Literaturkritiker, der so etwas eben fragt: Reich-Ranicki. Und gab, immer verlässlich, gleich die Antwort: „Im Alter von, sagen wir, 14 oder 15 Jahren können intelligente junge Menschen schon sehr wohl die gleichen Bücher lesen wie die Erwachsenen.“ Sofort dachte ich: Recht hat er. Allerdings fiel mir auch meine Freundin Marianne ein. Die schenkte ihrem Sohn zur Konfirmation mehrere Kilo Bücher, die Erwachsene angeblich lesen: „Der Kanon“, zwanzig deutsche Romane bei Suhrkamp, ausgesucht von Reich-Ranicki. Der Sohn war not amused. Dabei ist er ein Vielleser. Die 8.200 Seiten des Kanons sind für „intelligente junge Menschen“ durchaus zu bewältigen: Bei 50 Seiten pro Stunde sind das ein Jahr lang täglich 2,2 Stunden, Ferien und Feiertage inklusive. Dumm nur, dass kein Mensch so liest, höchstens eine Lesemaschine. Also landen die Lesemaschinenwälzer dort, wo sie meistens landen: im Regal. Wir wollen Bücher, kein Pensum! Schade, schade, denn meine beiden Favoriten für jugendliche Einsteiger waren auch dabei: Hesses „Unterm Rad“ und Döblins „Berlin Alexanderplatz“.

Denn es stimmt ja, mit fünfzehn kann man nicht nur Erwachsenenliteratur lesen, man will es auch – zumindest erinnere ich es so. Kafka und Sartre waren damals meine Gurus, die nach Hesse kamen. Doch würde ich diese heute zum 15. Geburtstag verschenken? Warum nicht? Zunächst aber fällt mir Zeitgenössisches ein. Nick Hornby, vielleicht T. C. Boyle. Gefahrlos sind wohl die Pop-Kandidaten von Stuckrad-Barre bis Hennig von Lange – da ist ja ein ganzes Genre von junger Erwachsenenliteratur entstanden. Der junge Lebert ist ein Selbstgänger – Jugend schreibt für Jugend. Auf die Idee, einen Walser zu verschenken, käme ich hingegen nicht.

Und die echten Kanon-Klassiker? Ich frage mich, ob man die überhaupt verschenken muss oder ob Jugendliche sich diese nicht besser selbst kaufen. Aus dem Dilemma des pädagogischen „Lies das mal!“ kommt man einfach nicht raus, selbst wenn man nur schenkt, was man wirklich auch gerne selber liest.

Außerdem kostet ein gutes Buch in diesem Bereich oft nicht mal so viel wie eine Kinokarte. Die Suhrkamp-Basis-Bibliothek mit ihrer ausgezeichneten Auswahl von Kafka über Lessing bis Brecht, von Handke über Horváth bis Hesse bietet einen Band zwischen 5 und 7,50 Euro an. Passt in jeden Rucksack und für jedes Portemonnaie. Nach wie vor unschlagbar sind natürlich die gelben Reclam-Hefte. Für 1,60 Euro gibt’s H. C. Artmann und Thomas Bernhard; Jandl und Rolf Dieter Brinkmann kriegt man für 3,60 Euro. Das Beste für weniger als eine U-Bahn-Fahrkarte – was will man mehr? ANGELIKA OHLAND