„Radio braucht wieder Vielfalt“

Interview DANIEL BAX
und THOMAS WINKLER

taz: Herr Renner, heute beginnt die PopKomm zum letzten Mal in Köln. Danach zieht die Messe nach Berlin. Warum?

Tim Renner: Wenn sie in einer Wohnung zu lange gewohnt haben, ist die oft so verbaut, dass es sinnvoller ist, umzuziehen.

Aber reicht denn ein Tapetenwechsel allein?

Die PopKomm muss Berlin nutzen, um sich grundsätzlich umzuorientieren. Angefangen hat man als Plattform, auf der sich kleine Labels austauschen konnten, mit Dieter Gorny, der von der Tanke Bier holte. Dann hat sie sich entwickelt zur großen Branchenfeier, was in Ordnung ist, wenn eine Branche unverschämt erfolgreich ist und was zu feiern hat. Jetzt hat sich die Welt verändert, wir sind eine ganz normale Branche mit allen ihren Nöten. Die PopKomm muss endlich die klassischen Funktionen einer Messe übernehmen: Geschäft muss stattfinden und zugleich Kommunikation für die Produkte generiert werden. Bislang wird anlässlich der PopKomm in den Medien nur über die Krise der Industrie berichtet, nicht über neue Platten oder Stars. Aber an den meisten Ständen kann man nicht einmal die Musik anhören.

Das allein wird kaum die Absatzkrise beenden. Brauchen wir die vom bayerischen Staatskanzleichef Erwin Huber propagierte Radioquote?

Wir brauchen wieder Vielfalt im Radio. Das Privatradio erhebt keine Gebühren, es muss von Werbung leben. Wenn ich von Werbung lebe, ist nicht der Hörer mein Kunde, sondern der Werbekunde. Dieser Kunde will eine möglichst hohe Reichweite, und deshalb sucht das Radio den kleinsten gemeinsamen musikalischen Nenner.

Deshalb sollen nur öffentlich-rechtliche Radios quotiert werden?

Das öffentlich-rechtliche Radio hat in seinem verfassungsmäßigen Auftrag Information und Vielfalt. Diesen Auftrag erfüllt es nicht mehr. Stattdessen dupliziert man mit Gebührengeldern, was eh umsonst zu haben ist. Interessant ist: Das Radio gewinnt in letzter Zeit Hörer hinzu, aber die Werbeeinnahmen sanken im letzten Jahr um mehr als 12 Prozent. Auch die Werbeindustrie erkennt, dass bei dieser Art von Programm die Aufmerksamkeit des Hörers nachlässt. Radio muss wieder relevant werden, dazu muss es relevante Inhalte senden.

Die Unternehmerverbände fordern Deregulierung. Die Musikindustrie will ihr Geschäft mit einer neuen Regulierungsmaßnahme ankurbeln.

Das Problem bei Musik ist das Sendeprivileg. Wenn Sie einen Film drehen, darf den niemand ohne Ihre Genehmigung aufführen. Aber wenn ich ein Musikstück veröffentlicht habe, dann kann es jeder senden, wenn er die Gema-Normsätze zahlt. Das ist eine Zwangslizenz, die es bei keinem Foto, bei keiner TV-Reportage, bei keinem Text gibt. Für Musik wurde das 1968 eingeführt, um Vielfalt herzustellen, um sicherzustellen, dass nicht die Musikindustrie bestimmt, was gesendet wird. Dieses an sich positive Ansinnen hat sich allerdings verkehrt, die Vielfalt ist nicht mehr gegeben. Der Staat hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder stellt er die Marktwirtschaft wieder her. Dann muss die Zwangslizenz weg. Wenn man aber nicht an die Selbstregulierung des Marktes glaubt, dann muss man regulieren, dass diese Zwangsregulierung nicht missbraucht werden kann.

Nun sitzen Sie mit CSU-Minister Huber im gleichen Boot.

Zumindest bei diesem Thema sind wir uns beide auf jeden Fall einig. Der Musikgeschmack von Herrn Huber ist tatsächlich nicht krachledern. Er kennt sogar die Sportfreunde Stiller.

Wie umgehen Sie den Vorwurf der Deutschtümelei?

Die Angst vor Deutschtümelei ist ein typisch deutscher Reflex. Aber: Wir wollen keinen Wettbewerbsvorteil für Deutsches, wir wollen nur Wettbewerbsgleichheit. Momentan hat man mit deutschsprachigen Titeln so gut wie keine Sendemöglichkeit. Denn zuhören sollen die Leute beim Moderatoren, der die Zuhörer an den Sender bindet, und bei der Werbung. Deutsche Sprache wird nicht gespielt, weil sie stört. Das Geschäftsprinzip des Radios hat zur Folge, dass deutscher Pop abgeschafft wird, und damit blockiere ich die kulturelle Identitätsfindung eines Landes.

So schlimm?

Wenn man nicht will, dass diese Gesellschaft auf ein McDonald’s-Niveau verkommt, wenn man will, dass neue Impulse gesetzt werden, dann muss man dafür sorgen, dass die Kanäle offen bleiben und für Pop ist nun mal Radio der Kanal. Was wir hierzulande an großen Stars haben, hat seine Karriere ausnahmslos zu einer Zeit begonnen, als die Radiolandschaft noch eine vollkommen andere war. Ich kann mit jedem Taxifahrer und meinem Nachbarn über Grönemeyer reden, aber nicht über Rammstein.

Sind Ihre Bosse in New York begeistert von Ihrer Quotenforderung?

Das ist weiß Gott bei uns im Konzern nicht unumstritten. Da kommen ab und an schon mal spitze Fragen per Mail. Schließlich verdiene ich das meiste Geld, wenn ich Produkte, in die ich einmal Geld investiert habe, als Konzern weltweit vermarkte. Aber ich glaube, dass eine Musikwirtschaft nur dann auf Dauer global prosperieren kann, wenn sie multikulturell und multinational ist.

Die von Ihnen befürchtete McDonaldisierung muss aber nicht zwangsläufig eine Angloamerikanisierung sein?

Nein, dass kann auch eine Wienerwaldisierung sein.

Ihre Kollegen von der BMG haben bei der Quote die Möglichkeit, noch mehr „Superstars“ zu lancieren.

Die singen Englisch …

erfüllen aber die Voraussetzungen der Quote, weil das Produkt aus Deutschland stammt.

Stimmt, aber die Quote wird nicht alle Probleme der Musikindustrie lösen. Solche TV-Formate wie „Deutschland sucht den Superstar“ wird es immer geben, aber nicht in dieser Präsenz. Das reguliert sich von selbst. Ich kann da auch nicht richtig schimpfen, denn mit „Popstars“ oder jetzt „Starsearch“ sind wir selbst dabei.

Die gecasteten „Superstars“ sind das einzige aktuell wachsende Marktsegment. Wird die Krise der Branche Dauerzustand?

Nein, wir haben enorme Zuwachsmöglichkeiten: Legale Nutzung des Internets, aber auch die individuell zusammengestellte Compilation-CD. In Lübeck und Rostock testen wir ein System, in dem ich mit einem PDA, der mit Kopfhörer und Touchscreen ausgerüstet ist, durch den Plattenladen gehe und mir per Scanner die Titel aussuche, die ich mag. Am Ausgang bekomme ich meine fertig gebrannte Individual-CD. Daran glaube ich: Das haptische Einkaufserlebnis samt seinen sozialen Kontakten mit der neuesten Technologie zu verknüpfen.

Das erhält Ihnen vielleicht die jetzigen Konsumenten, aber wo soll das Wachstum herkommen?

Wir gehen fälschlicherweise noch davon aus, dass sich der Konsument mit Ende 30 als aktiver Musikfan verabschiedet, dabei sind selbst 65-Jährige bereits mit Popmusik sozialisiert. Bei diesen Älteren hat die Industrie ein Defizit. Diese Klientel hat keine Zeit neben Job und Kindern im Plattenladen zu stöbern, will aber gleichzeitig ihre Individualität ausdrücken und ist deshalb nicht am üblichen Chartsfutter interessiert. Genau diese Leute sind zudem die Opinionleader, die die Märkte antreiben.

Was bedeutet das für die Plattenfirma der Zukunft?

Sie muss sehr viel exakter die einzelnen Acts kommunizieren. Denn in einem Markt, in dem die Distributionshürden wegfallen, wird es noch sehr viel mehr Player geben. Außerdem müssen wir schneller werden: Musikalische Impulse, neue Trends werden in einem primär nonphysisch betriebenen Markt viel schneller aufgenommen. Andererseits muss die Plattenfirma der Zukunft so aufgestellt sein, dass sie die unterschiedlichen Szenen stimmig bedienen kann.

Deshalb haben Sie das Münchner Volksmusiklabel Koch gekauft.

Koch ist der große Vergnügungsdampfer im Süden. Damit die nicht an Selbstständigkeit und an Stimmigkeit verlieren, haben wir die auch in München gelassen und nicht hier integriert. Hier in Berlin würde ich keine Menschen finden, die sich ausreichend für die alpenländische Kultur begeistern, und das würde man merken. Umgekehrt: Auch wenn ich kein HipHopper bin, will ich, dass der eine HipHop-Act, den ich höre, auch ein stimmiger Act ist. Das war vor 20 Jahren noch anders, da konnte man mit Industrie-Klonen wie Vanilla Ice Geld verdienen. Das funktioniert heute nicht mehr.

Die Industrie-Klone gibt es ja weiterhin, die werden sogar im TV vor aller Augen gecastet.

Das sind aber keine Vertreter einer bestimmten Szene. Es gibt nicht den international erfolgreichen HipHop-Act, der von einer Firma konstruiert und lanciert wurde. Heute will die Masse der Leute, ein echtes, originäres Produkt. Die, die Zuckerwatte wollen, die bekommen bei „Deutschland sucht den Superstar“ echte Zuckerwatte.

Die Branche selbst führt mit den Casting-Shows noch dem blödesten Konsumenten die Mechanismen des Geschäfts vor. Lebt Pop nicht vom Glamour und dem Versprechen auf ein Geheimnis?

Wenn der Blödeste nicht mehr darauf reinfällt, dass Stars blöde platziert werden, dann muss das gesamtgesellschaftlich ja nicht das Schlechteste sein. Aber es gibt nicht nur durchschaubare Mechanismen, es gibt drei Millionen Mechanismen, Künstler zu positionieren. Aber es stimmt: Es wird da sehr viel entmystifiziert. Der Mythos vom Star bröckelt, bekommt eine Kälte, und damit lässt die emotionale Bindung an den Star nach. Andererseits: Noch nie hatten wir so viel Platz für Musik im Fernsehen. Selbst der Bertelsmann-Sender RTL, der sich vorher nie an Musik herangetraut hat, merkt nun, dass es ein überwältigendes Interesse an Musik gibt.