Wo der Schuldkomplex auf- und abtaucht

In „Swimming Pool“ schafft sich jeder seine eigenen Dämonen. Doch die schützende Fantasiewelt schluckt Konflikt und Konfrontation

Es ist ein ikonisches Bild. Ein schwarz-weiß gestreifter Badeanzug auf makellos gebräunter Haut, ausgestreckt vor dem paradiesischen Blau eines Swimmingpools. So macht man sich unvergesslich. Ludivine Sagniers ganzer Körper ist reinste Provokation: seine babyhafte Fleischlichkeit, seine jugendlich-trunkenen Bewegungen, seine Unvergänglichkeit. Solche Körper können Neid und Hass säen, wenn man sie nicht unter Kontrolle hält.

Es sind jedoch nicht die vermaledeiten Begehren, die in François Ozons Film „Swimming Pool“ unter der Sommersonne Südfrankreichs schmoren. Das Übel liegt noch viel tiefer, vielleicht sogar auf dem Grund des titelgebenden Pools, aus dem die Kamera manchmal auf- beziehungsweise in den sie abtaucht wie vor fast dreißig Jahren Spielbergs Weißer Hai: als manifester, verdrängter Schuldkomplex. Doch man kann Ozons Filmen nur schwer mit Vulgärpsychologie beikommen. Im Gegenteil neigt er eher dazu, seine Filme in – zugegeben sehr sublime – Vulgärmystik kippen zu lassen. Je länger man ihm bei der Arbeit zusieht, umso mehr erweist er sich als geschickter Blender. Wie sein Vorbild Fassbinder umgibt er sich mit weiblichen Musen, um in ihrem Abglanz zu erstrahlen. Bei seinem letzten Film ging das gerade noch mal gut, konnte er sich doch auf das Charisma von gleich acht Frauen verlassen.

Charlotte Rampling steht in „Swimming Pool“ am anderen Ende der äußerst kompetitiven Begehrenskette, und es hat überhaupt nichts mit Mut zu tun, wenn sie später im Film ihr Kleid abstreift und auf dem Balkon frohlockend posiert. Es ist nur konsequent. Ozon hat immer schon gerne abstrakte sexuelle Abhängigkeits- und Machtverhältnisse auf ganz konkrete Beziehungsmodelle übertragen. Eine Lolita auf Charlotte Rampling zu hetzen ist der Gipfel der Unverfrorenheit. Aber auch diesen Konflikt entlarvt Ozon letztlich nur als figurativ. Jeder schafft sich seine eigenen Dämonen, das ist die wenig originelle Pointe von „Swimming Pool“.

Rampling spielt Sarah Morton, eine jungfernhafte Krimiautorin von offensichtlich minderer Qualität, aber durchschlagendem Erfolg. Ihre künstlerische Krise ist evident: Die jüngeren Erfolgsautoren sind „kleine Scheißer“ und ihre größten Fans ältere Damen, die in der U-Bahn schroff abgekanzelt werden. Ihr „Ich bin nicht die Person, für die Sie mich halten“ ist der Schlüsselsatz des Films; er führt von einer permanenten äußeren Abwehrhaltung (niemand raucht eine Zigarette so abweisend und unkommunikativ wie Ramplings Sarah Morton) hin zu einer tiefen seelischen Krise, die verdächtig an Ingmar Bergmans „Persona“ erinnert. Mortons Verleger, mit dem sie eine verborgene Leidenschaft verbindet, schickt sie zur Erholung in sein Landhaus, wo sie sich entspannt – bis dessen Tochter Julie (Ludivine Sagnier) auftaucht.

Der Konflikt der beiden ungleichen Frauen bleibt lange auf einer unmittelbaren Ebene hängen. Am Ende muss Ozon überhastet die Flucht ins Banal-Mystische antreten. Das Gefühl, ausgeliefert zu sein, die Unfähigkeit, sein Selbst zu erkennen (von Morton zu Beginn in der U-Bahn schon orakelhaft ausgesprochen), finden Entsprechung nur im Bild des Vampirs. Ozon geht den einfachsten Weg: Anders als Bergman, der Bibi Andersson und Liv Ullmann die Konfrontation suchen ließ, entlässt Ozon Rampling in eine schützende Fantasiewelt. In „Persona“ wurde dieser Schritt noch leicht verächtlich als „der hoffnungslose Traum vom ‚Sein‘ “ abgewertet. „Jede Geste eine Lüge, jedes Lächeln eine Grimasse.“

Bergman hat Ozon (mindestens) eine Erkenntnis voraus. „Realität“, heißt es in „Persona“, „ist diabolisch.“ Sich darin einzurichten, zeugt erst von wahrer Größe. ANDREAS BUSCHE

„Swimming Pool“. Regie: François Ozon. Mit Charlotte Rampling, Ludivine Sagnier u. a. Frankreich 2003, 102 Min.