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: „10“ von Abbas Kiarostami

Zehn Szenen zeigt dieser Film, mit einer fest installierten Kamera in einem Auto aufgenommen. Man sieht entweder die Fahrerin oder den Gast auf dem Beifahrersitz. Von einer Regiearbeit kann da kaum geredet werden, es ist eher eine Versuchsanordnung, die der iranische Filmemacher Abbas Kiarostami (“Der Geschmack der Kirsche“) da präsentiert.

Eine schöne, geschiedene Frau fährt durch Teheran, holt ihren Sohn für die festgesetzten Besuchzeiten von ihrem Vater ab, macht Besorgungen mit ihrer Schwester, nimmt eine alte fromme Frau zur Moschee mit und fährt eine Prostituierte durch die nächtliche Stadt. Es gab kein Drehbuch, Kiarostami sprach nur vor den Aufnahmen intensiv mit den Laiendarstellern über ihre Rollen und liess sie dann im Auto einfach reden.

Seine Hauptaufgabe bestand darin, aus den 23 Stunden Filmmaterial die 94 Minuten von „10“ zu schneiden.

Ein in der Form sehr strenger Film also. Ein Film, bei dem auf den ersten Blick das „Wie“ wichtiger scheint als das „Was“. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Szenen durchnummeriert sind, und man jeweils direkt in eine Fahrt und ein Gespräch hineingestossen wird. Doch durch den so radikal begrenzten Blickwinkel wird man gezwungen, genau hin zu sehen und zu hören.

Auch wenn man die Strassen von Teheran nur am Filmrand und meist unscharf vorbeifliessen sieht, bekommt man schnell ein Gefühl für die Stimmung des Ortes, für die nervöse Spannung der Metropole. Die namenlos bleibende Fahrerin (Mania Akbari) ist eine selbstbewusste, starke und stolze Frau, aber gleich in der ersten Sequenz wird sie von ihrem zehnjährigen Sohn Amin wüst beschimpft und beleidigt. Als der einzige männliche Darsteller wirkt er wie eine Kleinausgabe des repressiven iranischen Mannes. Wenn man miterlebt, wie er seine sprachgewandte, kultivierte und liebevolle Mutter heruntermacht und seine Machtposition als Kind zwischen beiden Eltern gnadenlos ausnutzt, dann hofft man in der letzten Szene fast, man würde ihn nicht im, sondern unter dem Auto sehen. Da bedauert man dann doch etwas, dass der Film (wenn überhaupt) nur eine unsichtbare Dramaturgie hat und man sich aus den Momentaufnahmen der zehn Autofahrten vieles selber zusammenreimen muss.

Zwangsläufig achtet man so auf jedes Detail, etwa auf die kreisrunde, mit Zeitungspapier beklebte Pappe, mit der sich die Schwester der Fahrerin in der Hitze unter dem schwarzen Schador Luft zuwedelt. Ein schön bedruckter Fächer gilt offensichtlich für eine Frau in der Öffentlichkeit schon als unschicklich. Die fromme Alte, die die Fahrerin dazu drängt, mit ihr zu beten, wird nur ganz kurz von hinten gezeigt, wenn sie vom Auto in die Moschee geht. Damit befolgt und kommentiert zugleich Karostami das Bilderverbot der fundamentalistischen Moslems.

Das Merkwürdige an „Ten“ ist, dass er zugleich an avantgardistische Formenspiele erinnert und sehr authentisch, fast dokumentarisch wirkt. Es scheint unmöglich zu unterscheiden, ob die Menschen nun vor der Kamera schauspielen oder sich selbst darstellen. Nichts wirkt gestellt oder arrangiert, wir werden einfach Zeugen bei zehn Autofahrten durch Teheran, während denen wir zumindest eine Ahnung davon bekommen, wie Frauen im Iran leben. Wilfried Hippen

„Ten“ läuft täglich im Cinema in der Originalfassung mit Untertiteln