Die Stadt bin ich – lieber nicht

Element of Crime machten auf der Museumsinsel Pause. Gelegenheit, über Herrn Regener nachzudenken. Ist seine ostentativ vor sich hergetragene Unambitioniertheit noch okay, oder nervt sie schon? Am Ende ist man doch gerührt

Man hat sich offenbar lange nicht gesehen und einander viel zu erzählen, zumindest im Publikum, während Sven Regener vorne auf der Bühne sympathisch maulfaul Zwischenansagen verweigert („Guten Abend. Vielen Dank“) oder im grünen Licht den einsamen Trompeter gibt.

Die Musik stört jedenfalls nicht, als Element of Crime an einem lauen Samstagabend im August auf der schönen Museumsinsel öffentlich Pause machen: Kein Album, kein Buch, „rein gar nichtsss“ (das s von drei Frauen neben mir stimmungsvoll mitgezischt), einfach nur mal wieder ein Konzert, hallo, wir sind auch noch da „und jetzt kommt noch ’n Lied.“ Noch ’n Lied: Damit ist das Gesamtkonzept, „natürlich ein Erfolgsrezept“, von Element of Crime bereits ziemlich fulminant umrissen.

Noch ’n Lied heißt: das alte, immer gleiche Lied, wie es Sven „Waits“ Regener liebt und in dem es garantiert um Rumsitzen und Saufen geht, um maximale Bocklosigkeit bei gleichzeitiger Entspanntheit und den ganz gemeinen Alltag also, wo er sich noch ein bisschen Melancholie und, na ja, Sex-Appeal bewahrt hat, „also wie unter Eheleuten“, ehrlich und mit Socken an. „Romantik!“, ruft Regener einmal verwegen dazwischen, und man weiß nicht genau, ob das nur verspätete Album-Promotion ist. Danach kommt jedenfalls eine weitere Whiskeyballade mit einem Schuss Weisheit („Wer zu lange in die Sonne sieht, wird blind“), und so was hätte man sich eigentlich lieber in der nächstbesten Bar reingetan.

Aber nachdem sich Regener am Veranstaltungstag noch mal ganz gelassen per Handy aus dem Biergarten in der Berliner Zeitung zu Wort gemeldet hatte, folgte ihm sein Publikum auch bereitwillig für 30 Euro auf die Museumsinsel. Man hat sich unter den beiden über der Bühne hängenden Slogans „Nur für Erwachsene“ und „Die Stadt bin ich“ (äh, vielleicht lieber nicht) eingefunden, groovt gemütlich mit, raucht, quatscht oder knutscht ein bisschen in der Gegend rum. Etwas abseits steht die gesamte „Herr Lehmann – Der Film“-Posse um Leander Haußmann herum, von der Musik eher unbeeindruckt. Rezzo Schlauch, in Jeans und Joggingschuhen, geht jedenfalls mehr mit.

Zwischendurch ist viel Zeit, um über Herrn Regener nachzudenken. Er trägt einen schwarzen Anzug und die Haare jetzt seitengescheitelt lang, was seiner Bühnenperformance sehr zugute kommt, immer wieder muss der Schopf aus dem Gesicht gestrichen werden. Und diese vor sich hergetragene Unambitioniertheit, ist das noch okay, oder nervt das schon?

Dann macht Sven Regener ein Statement, es geht irgendwie um die Pause der Band, aber man versteht wie bei Grönemeyer nur einzelne Phrasen „in den Himmel gucken“, „wohlgenährt“ und „es war ein fleischreicher Sommer“, weil neben einem gerade Christian Ulmen von seiner Begleiterin zugetextet wird. Wie überhaupt der Applaus heute Abend das Lauteste ist, was man zu Gehör bekommt.

Erstaunlich, zu welchen Emotionen viele noch imstande sind, während man selbst überlegt, ob man sich nicht doch eine Pommes holen sollte. Abschließend steht fest: Element of Crime rocken nicht. Es ist keine Musik, die man anderthalb Stunden lang vor einer Konzertbühne herumstehend gut finden kann, und wenn mal ein Song von denen im Erwachsenen-Radio kommt, ist die Freude natürlich trotzdem groß. „Und alles, was du sagst / Alles, was du siehst / Alles, was du liest / Das ist alles nicht mehr wahr“, singt Sven Regener am Ende, und dann ist man plötzlich doch noch gerührt. Draußen hat sich ein Mädchen allein in die Dunkelheit unter den Bäumen gesetzt und hört von hier aus zu. Sie hat sich eine Kerze angezündet, ein rotes Teelicht. Die erste Zugabe ist das düstere „Weißes Papier“. ANDREAS MERKEL