Reibungsverluste

Fridolin Schley besingt mit seinen Erzählungen „Schwimmbadsommer“ den Vater und schreibt sich langsam aus der früheren Harmlosigkeit heraus

von SEBASTIAN DOMSCH

Selten hat jemand so schön und gänzlich unpathetisch den Vater geehrt wie Fridolin Schley in seinem Erzählungsband „Schwimmbadsommer“. Zwischen jeder der fünf längeren Erzählungen stehen kurze und liebevolle Beschreibungen von Vaterrollen. In diesen Miniaturen beschreibt der Erzähler, wie es kam, dass sein Vater für ihn zu bestimmten Zeiten nicht einfach nur sein Vater war, sondern Indianerhäuptling Tecumseh, Albert Camus, Ivan Lendl oder auch JFK.

Autobiografische Nähe, wie man sie beim Blick auf die Autorenvita und auch auf den Debütroman „Verloren, mein Vater“ vermuten mag, ist eher irrelevant. Was Schley in seinen Miniaturen feiert, ist das Prinzip des Vaters überhaupt, der Vater als Spielgefährte, als Lehrmeister und als Sparringspartner, der weiß, wann die Zeit gekommen ist, dem Sohn den Sieg zu überlassen. Indem Schley auf sympathische Weise die Vaterfunktion als intakt beleuchtet, illustriert er ungewöhnlich affirmativ die Situation einer jungen Generation von Schriftstellern, denen die Eltern nicht mehr als Feindbilder taugen. Es gibt keine Reibungsflächen, sämtliche Revolten haben die Eltern selbst schon angezettelt, und jetzt machen sie halt so ziemlich alles richtig bei ihren Kindern, sie sind nicht engstirnig, spießig oder verklemmt.

Wo allerdings die Reibung wegfällt, da droht auch das Erzählen recht schnell ins Leere zu laufen. Die Gautinger Tennismeisterschaft im Junioren-Einzel birgt nur Stoff für eine Geschichte, auch wenn diese sehr schön melancholisch geraten ist. Also raut Schley die Oberflächen wieder auf, streut etwas Sand ins Getriebe, was mal mehr und mal weniger natürlich wirkt. In der Titelgeschichte arbeitet der Erzähler den Selbstmord eines Mitschülers am Vorabend der Abiturfeier auf und evoziert echtes Konfliktpotenzial. Ganz im Alltäglichen und ohne jede außergewöhnliche Erklärung für den Suizid macht die Geschichte deutlich, dass auch glatte Oberflächen Abgründe verbergen können. Ohne Reibung kann man auch schnell abrutschen.

Die vorletzte Geschichte „Bis Hicki kommt“ dagegen nimmt sich im Verbund der Familienrückblicke eher als ein Fremdkörper aus. Drei Menschen sitzen bei der Polizei, während Hicki seine Aussage macht, und reden über Herrn Schwarting. Nacheinander berichten sie von ihren Begegnungen mit diesem sonderbaren Zeitgenossen, und ihre Berichte fügen sich zum Lebensbild eines Quertreibers, der in der DDR genauso systematisch aneckte wie im wiedervereinigten Deutschland. Schwarting, der Stammgast in sozialistischen Gefängnissen, der jetzt in Soldatenuniform und mit einer Gefängniskugel am Fuß auf der Straße des 17. Juni selbst verlegte Bücher feilbietet, passt nicht so recht in die Reihe der lebensnah porträtierten Figuren aus der provinziellen Alltagswelt.

Hier reißt Schley ein Thema nur an, ohne ihm die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen. Man könnte diesen unausgereiften Abschluss allerdings als Ausblick auf das deuten, was nach der privaten Vergangenheitsbewältigung von Schley literarisch zu erwarten sein wird. Denn um seinem erzählerischen Talent gerecht zu werden, muss Schley noch weiter aus der Harmlosigkeit herausfinden.

Fridolin Schley: „Schwimmbadsommer“. C. H. Beck, München 2003, 239 S., geb., 17,90 €