beiseite
: Im Jahr des Eismonds

Hyper, hyper

Neulich gab es in der SZ mal wieder Medien- und Literaturkritikkritik. In einer Art Rezension von Jan Costin Wagners Kriminalroman „Eismond“ ging es vor allem darum, den armen Wagner in Schutz zu nehmen vor vermeintlich großen Worten, mit der eine Frankfurter Sonntagszeitung ihn als „erstaunlichen Gegenschriftsteller der Popliteratur“ beschrieben hatte. Ein ehrwürdiges Unterfangen, don’t believe the hype!, auch wenn die vielleicht nicht ganz so erstaunlichen Popliteraturgegenmodelle dieses Jahr in Klagenfurt schon en gros zu bestaunen waren.

Nur hatte man den Eindruck, dass auch die Wächter aus München nicht die allercoolsten sind, dass auch sie ihr Scherflein zum Minihype um „Eismond“ beitragen mussten und nicht zwei, drei Monate mit einer handelsüblichen Rezension warten wollten. Mehr denn je sind manche neue Bücher bloße Ereignisse, auf die schnell, schnell reagiert werden muss, und nicht so sehr Literatur, die Wert und Dauer über den Veröffentlichungstermin hinaus hat. Früher galt das für ein, zwei Bücher pro Saison, etwa Handkes „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, das von den Großkritikern persönlich aus der Druckerei geholt, im Zug gelesen und anderntags besprochen wurde.

Heute gibt es jede Woche ein rasend wichtiges Buch, auch wenn es nur ein Krimi, ein Lebertchen, ein Zwischenwerk von Walser oder der Debütroman eines Modedesigners ist. Hyper, hyper! Das hat was, da Bücher so möglicherweise in aller Munde sind; das führt aber auch zu extrem verkürzten Halbwertszeiten: Wer interessiert sich morgen noch für Lebert? Besser sind natürlich die Bücher, die dieses Drumrum nicht brauchen, die Langbrenner. Denen kann bloß passieren, dass sie keiner kauft, was auch unschön ist. Bei „Eismond“ übrigens weiß man nicht mal, ob es sich, wie für Krimis oft üblich, im Verborgenen, abseits der Großfeuilletons, verkaufstechnisch nicht besser entwickeln würde. Zu viel Überbau hat schon so manchen Krimi-Fan abgehalten. GERRIT BARTELS