Die Regierung schweigt

Die Entführer der Sahara-Geiseln haben Lösegeld bekommen. Die Bundesregierung sagt dazu nichts – aus gutem Grund

von JENS KÖNIG
und CHRISTIAN RATH

Nein, Lösegeld werde prinzipiell nicht bezahlt. Nein, zu den Einzelheiten der Geiselbefreiung wolle man nichts sagen. Das öffentliche Schweigen der Bundesregierung zu den Umständen der Geiselbefreiung in Mali hielt auch am gestrigen Dienstag an. Daran wird sich wohl auch in den nächsten Wochen und Monaten nichts ändern.

Die Bundesregierung hat guten Grund für ihr Schweigen: Sie will den Markt für Entführungen nicht weiter anheizen. Sie will gegenüber potenziellen Nachahmern als nicht erpressbar erscheinen. Und sie will schon gar nicht offiziell gegen den internationalen Terrorismus kämpfen und gleichzeitig, wie im vorliegenden Fall, einer islamistischen Terrororganisation Geld übergeben, das diese dann möglicherweise für den Kauf von Waffen einsetzt.

Umso bemerkenswerter waren dieser Tage Äußerungen von Joschka Fischer und Ludger Volmer, die in zwei kurzen, redseligen Momenten die prinzipielle Haltung der Regierung in Sachen Lösegeld der Wirklichkeit anpassten. Der Außenminister sagte am Montag, dass die Bundesregierung Lösegeldzahlungen grundsätzlich ablehne, fügte jedoch den aufschlussreichen Satz hinzu: „Sie wissen, was ‚grundsätzlich‘ unter Juristen heißt.“ Ludger Volmer, außenpolitischer Sprecher der grünen Fraktion und vor zwei Jahren als Staatsminister im Auswärtigen Amt deutscher Unterhändler bei der Wallert-Entführung auf den Philippinen, räumte in einem Rundfunkinterview ein: „Die Bundesregierung zahlt kein Lösegeld, und wenn sie es tun würde, würde sie es nie zugeben.“

Im Klartext: Die Bundesregierung zahlt im Ausnahmefall irgendeine Art von Lösegeld, weil ihr das Leben der Geiseln wichtiger ist als ihr Prinzip. Das Lösegeld muss dabei nicht direkt von der deutschen Regierung gezahlt werden. Für die Freilassung der 14 Sahara-Geiseln soll, so berichten Medien unter Berufung auf malische Kreise, die Regierung Malis 4,6 Millionen Euro Lösegeld gezahlt haben. Das Geld werde vermutlich als deutsche Entwicklungshilfe zurückerstattet, heißt es. Auch dieses Prinzip hat Volmer freimütig erläutert: „Wir wissen natürlich zu schätzen, wenn einzelne Länder in zugespitzten Situationen unsere Interessen mit vertreten, sich auf unsere Seite stellen. Wir vergessen unsere Freunde nicht.“

Die Opposition hat das Verhalten der Bundesregierung bei der Geiselbefreiung ausdrücklich gelobt. Es gibt aber auch andere, weniger pragmatische Haltungen in dieser Frage. Der Hamburger Rechtsprofessor Eike von Hippel fordert ein rigides Verbot von Lösegeldzahlungen. „Jede erfolgreiche Entführung erhöht nur den Anreiz für weitere Geiselnahmen.“ Dies gelte, „bei allem Mitgefühl“, auch im Fall der Sahara-Geiseln.

Von Hippel verweist auf ein Gesetz in Italien, wo seit 1991 Lösegeldzahlungen verboten sind. Wer trotz Verbot den Entführern Geld übergibt, kann mit bis zu sechs Jahren Haft bestraft werden. Damit aber gar nicht erst bezahlt werden kann, wird gleich nach Bekanntwerden der Entführung das Vermögen der betroffenen Familie beschlagnahmt. „Das Gesetz hat gewirkt, es gibt heute in Italien viel weniger Entführungen als früher“, betont von Hippel.

Auch in Deutschland hat sich nach Meinung des Rechtsprofessors eine harte Haltung gegenüber Entführern gelohnt. Er verweist auf die Weigerung der Bundesregierung im Jahr 1977, auf die Forderungen der RAF einzugehen, die den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer entführt hatte. Zwar sei Schleyer am Ende ermordet worden, „aber seitdem haben Terroristen nicht mehr versucht, den deutschen Staat durch Entführungen zu erpressen“. Die Nachgiebigkeit bei der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz zwei Jahre zuvor habe dagegen weitere Entführungen geradezu provoziert.

„Das Grundgesetz begründet eine Schutzpflicht nicht nur gegenüber dem Einzelnen, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger“, erklärte im Oktober 1977 das Bundesverfassungsgericht nach einer dramatischen Nachtsitzung. Die Richter hatten damit einen Eilantrag der Angehörigen Schleyers abgelehnt, die die Politik zur Erfüllung der RAF-Forderungen verpflichten wollten. Die Richter gaben jedoch dem Staat freie Hand, wie er auf Entführungen reagieren will. Die staatliche Haltung soll für Entführer „nicht kalkulierbar“ sein. Damit ist nach geltendem Recht eine staatliche Lösegeldzahlung an Entführer nicht ausgeschlossen. Nur reden darüber wird eine Bundesregierung nie.