DEUTSCHE EX-GEISELN: DER STAAT IST FÜR SEINE BÜRGER VERANTWORTLICH
: Preis der neuen Weltordnung

Freude und Erleichterung: Die letzten überlebenden Geiseln, die in Algerien verschleppt wurden, sind endlich frei. Aber täten sie nicht besser daran, in der Wüste zu bleiben? Warum wollen sie eigentlich in ein Land zurückkehren, in dem Politiker verschiedener Parteien nun kein dringenderes Anliegen zu kennen scheinen als die Frage, ob und wie die Entführten jetzt zur Kasse gebeten werden können?

Populistisch und widerwärtig ist nicht die Forderung als solche. Das Konsulargesetz schreibt ohnehin fest, dass hilfsbedürftige Deutsche im Ausland zur Erstattung anfallender Auslagen verpflichtet sind. Aber der Zeitpunkt und der Ton entsprechender Überlegungen legt den Eindruck nahe, dass den Entführten ihr Schicksal selbst zur Last gelegt werden soll –auch wenn der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach noch so eindringlich betont, er beabsichtige das natürlich keinesfalls.

Aus gutem Grund. Die Entführten waren nämlich durchaus nicht leichtsinnig. Bis heute rät das Auswärtige Amt nicht von Reisen nach Algerien ab, sondern gibt lediglich Sicherheitshinweise. Wie auch für viele andere Länder. Thailand, Kenia, Indonesien, die Philippinen, Tunesien, Marokko, Sri Lanka, die Türkei und sogar Spanien: In allen diesen beliebten Touristenzielen wurden Terroranschläge verübt, vorbereitet oder zumindest angedroht. Wer Risiken vermeiden will, muss auf dem eigenen Balkon bleiben und kann nur hoffen, dass der hält.

Das liegt weder im Interesse der Tourismusindustrie noch in dem der Regierung oder der Bevölkerung. In vielen Teilen der Welt gehören Entführungen zum Instrumentarium von Guerillabewegungen, Freiheitskämpfern und Terroristen. Unterhändler wandern auf einem schmalen Grat: Jedes Entgegenkommen kann Nachahmer ermutigen, Kompromisslosigkeit gibt hingegen oft das Leben der Geiseln preis. Ein Königsweg ist nicht zu erkennen. Und Verhandlungslösungen sind meist ziemlich teuer. Das ist der Preis der neuen Weltordnung. Ihn alleine auf die Opfer abwälzen zu wollen, leugnet die Verantwortung der Gemeinschaft für ihre Mitglieder. Entspricht allerdings dem modischen Ideal der Staatsferne. BETTINA GAUS