Kein neuer Held des Homovolks

Der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust hätte gerne verschwiegen, dass er schwul ist. Den verhuschten Umgang mit seiner Homosexualität behält er bei

Schwul zu sein ist noch keinegenetisch fundierte Garantie für fortschrittliche Ideen

Ole von Beust wollte sich nicht erpressen lassen. Das ist – neben dem Rauswurf des Richters Gnadenlos aus dem Hamburger Senat – die beste Nachricht, die gestern aus Hamburg kam. Schill, der nach eigenem Bekunden nichts gegen Homosexuelle habe, wollte den Bürgermeister offenbar nötigen, also einen politischen Preis dafür erzielen, dass er der Öffentlichkeit nicht erzählt, was von Beust gerne verschwiegen hätte: dass der hanseatische Spitzenmann der Union keine Frau hat, weil er sexuell lieber einen Mann favorisiert.

Auffällig an der Erklärung des Hamburger Bürgermeisters war freilich nur dies: Erstmals dementierte er nicht, was ohnehin jeder weiß, ob er nun die auch für heterosexuelle Menschen zugänglichen Gastwirtschaften mit überwiegend schwulem Publikum besucht oder nicht. Von Beust ist, was er eben ist; er ist so schwul wie, sagen wir, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, um nur ein nachbarschaftliches Beispiel zu nennen, heterosexuell.

Heterosexuell zu sein, also als Mann grundsätzlich das andere Geschlecht zu begehren, kann kein Vorwurf sein. Es zu werden, erwartet die Gesellschaft von Jungs nach wie vor; es zählt zum männlichen Leistungsprofil. So hat ein Regierungschef ein Landesvater zu sein – und ein Vater kann nicht schwul sein. Mit Anderem kommt Volkes Gefühl nur schlecht zurecht, und wenn, dann erst seit kurzem.

Schwul zu sein war sogar verboten, gesetzlich nicht nur unter den Nationalsozialisten, sondern bis zum Ende der Adenauerära auch in der Bundesrepublik. Moralisch, in überwiegend illiberalen, konservativen Kreisen ist es bis heute nichts, womit sich punkten oder gar prunken ließe. Selbst der Berliner Klaus Wowereit wollte sich vor gut zwei Jahren, als ihn ein Landesparteitag zum Bürgermeisterkandidaten kürte, nicht zu seiner grundsätzlichen Geschlechtswahl äußern. Er musste es aber, um einer gehässigen Denunziation durch ein die Sozialdemokratie hassendes Boulevardblatt zuvorzukommen. Er wollte sich nicht als schmutzig, nicht als halbseiden und unmännlich verkaufen lassen. Im Gegenteil stellte er sich mutig, ohne falschen – entschuldigenden – Ton dar. Das war in der Rhetorik kräftiger, sozusagen männlicher gefärbt, als sich die meisten Boulevardfinken hätten vorstellen können.

Trotzdem hielten ihm viele auch liberale Medien vor, er habe sein Privates unziemlicherweise an die Öffentlichkeit gezerrt. Ein Missverständnis: Wowereit hat nur gesagt, dass bei ihm Heterosexualität nicht das sei, als das es immer noch genommen wird: selbstverständlich. Immer noch, so unterstellte er zu Recht, nimmt die Öffentlichkeit und beileibe nicht nur die konservativ gesinnte an, ein Mann sei mit einer Frau zusammen und eine Frau mit einem Mann.

Wowereit beichtete nichts Privates, als er dieses Konventionelle, diesen üblichen Anspruch an einen Politiker, zurückwies. „Ich bin schwul – und das ist auch gut so“, lautete seine Formel. Die machte ihn nicht nur beliebt, sondern auch, für einen schwulen Mann außergewöhnlich, unerpressbar.

Noch vor 20 Jahren konnte der Bundeswehrgeneral Günter Kießling demissioniert werden, weil man ihn für schwul und somit durch ausländische Geheimdienste erpressbar hielt. Motto: Wenn du das oder das für mich nicht tust, petze ich weiter, dass du homosexuell bist. Solche Fälle gab und gibt es zuhauf, im Milieu der Nachrichtendienste, im Klerus (dem katholischen vornehmlich) – und auch in der Politik.

Erst seit kurzem ist es nicht mehr zwingend der Fall, dass Homosexualität die bürgerliche Integrität zerstört. Dies hat Berlins Bürgermeister bewiesen, dies hat er auch vorangetrieben. Wowereit war unfreiwillig der Erste, der den teuflischen Mechanismus des Unsagbaren außer Kraft setzte, und er ging gar das Risiko ein, dass das Volk ihn ablehnt, wenn er zu Schrebergartenfesten, Gedenkfeiern und Opernpremieren nicht mit einer Tarnfrau aufkreuzt, sondern mit seinem Lebensgefährten.

In einer ähnlich mit Mut erkämpften, dann luxuriösen Situation wie der Berliner Wowereit war der Hamburger Ole von Beust keineswegs. Eher zufällig und unwillig durch die Unfähigkeit der SPD an die Macht gespült, wusste der Unionsmann nur, dass in seiner Partei Homosexuelle so selten oder häufig anzutreffen waren wie andernorts auch, dass darüber öffentlich zu sprechen sich jedoch nicht schickte. Immerhin hat die CDU das Gesetz zur eingetragenen Partnerschaft in toto abgelehnt und tut dies auch heute noch. Auch vom zuständigen Justizsenator Roger Kusch ist nicht überliefert, dass er an diesem Zustand etwas ändern möchte. Insofern hat es für die Bürgerrechtsbewegung der Homosexuellen nie eine Rolle gespielt, dass von Beust schwul ist.

Schwul zu sein ist noch keine genetisch fundierte Garantie auf fortschrittliche Ideen. Von Beust steht einem Senat vor, der alternative Sozialprojekte finanziell austrocknet. Aber weshalb hätte er diese fördern sollen? Konservative Politik in finanziell knappen Zeiten macht sich an rot-grünen Sozialnetzwerken zu schaffen, das ist nicht wunderlich.

In Berlin leistete Klaus Wowereit (SPD) die Vorarbeit. In Hamburg traute sich von Beust (CDU) nicht

Aber von Beust hätte nicht so verhuscht auftreten müssen, so verschwurbelt halboffiziell-homosexuell. Das hätte er in Hamburg nicht nötig gehabt, einer Stadt, in der die Union nie einen Deutschkonservatismus zelebrieren durfte, denn das hätte sie dort um die Zustimmung der liberalen Konservativen gebracht. Doch von Beust, so viel steht fest, hat Wowereits Format nie erreicht.

Stattdessen hat von Beusts „offiziöses“ Schwulsein Schill die Chance eingeräumt, ein wenig von dem in der Hand zu behalten, das zum Petzen, Denunzieren oder Weitertratschen nötig ist. Selbst wenn Schill beteuert, er habe nichts gegen Homos – von Beust habe ihn gar eigens nach seiner Haltung vor der Aufnahme der Koalition befragt! –, konnte er so seinen politischen Alliierten im Hamburger Senat zu erpressen versuchen, als letztes Mittel, um der politischen Bedeutungslosigkeit zu entrinnen.

Ole von Beust hat kategorisch erklärt, mit dem Justizsenator verbinde ihn nur eine seit einem Vierteljahrhundert währende Freundschaft, keine Partnerschaft jedenfalls. Man möchte das glauben. Welche Partnerschaft hält schon, wie von Schill fantasiert, so viele Jahre, mit sexuell aktivem Potenzial obendrein? Immerhin: Von Beust hat nichts Unterwürfiges zum Thema Homosexualität verlauten lassen. Entschlossen hat er Schill gefeuert. Selbstverständlich war das nicht, noch ist eine solche Rhetorik neu. Aber fragen wird man schon dürfen, schwule Männer, lesbische Frauen genießen ja nicht an und für sich Opferschutz: War er wirklich nie mit dem Juristen Roger Kusch zusammen? Und wenn doch: Wäre man nicht tatsächlich unangenehm berührt von dieser Berufung in den Senat, ganz so, als würde ein heterosexueller Mann seine frühere Frau oder Geliebte in ein Kabinett berufen? Nur dass es der politisch unappetitliche Schill ist, der darauf hindeutete, erlaubt noch nicht, eine Antwort auf diese Frage zu verweigern. JAN FEDDERSEN