Juden in Osteuropa

Vor dem Krieg lebten in Litauen zweihundertfünfzigtausend Juden, davon etwa fünfundsechzigtausend in Vilnius, wo sie Hälfte der Bevölkerung stellten. Vilnius galt als „Jerusalem des Nordens“. Es war das unbestrittene kulturelle Zentrum des jiddischsprachigen Osteuropa. Hier gab es mehrere jiddische Bibliotheken, Verlage, Theater und Schulen sowie eine Art Universität, das „Yidisher Visenshaftliker Institut“.

Nach der Besetzung von Vilnius durch die deutsche Wehrmacht im Juni 1941 wurden im folgenden September zwei Ghettos errichtet. Die zehntausend Bewohner des kleineren Ghettos wurden in den Wäldern von Paneriai unter Mithilfe zahlreicher Litauer erschossen. „Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem zu lösen, vom Einsatzkommando erreicht ist“, rapportierte am 1. Dezember 1941 ein Hauptstandartenführer der Wehrmacht. Die deutsche Besatzung überlebten nur etwa sechshundert Juden in Litauen. Heute leben in ganz Litauen fünftausendfünfhundert Juden, davon dreitausendfünfhundert in Vilnius. Die meisten kamen als Auswanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

Die Juden von Czernowitz wurden hierzulande vor allem durch Volker Koepps Film „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ bekannt. Czernowitz war das Zentrum des deutschsprachigen Judentums im damaligen Habsburgerreich, bevor es nach dem Ersten Weltkrieg zu Rumänien und nach 1944 zur Sowjetukraine kam. Gleichzeitig entwickelte sich nur acht Kilometer von Czernowitz entfernt das Städtchen Sadagóra zum Zentrum des chassidischen Judentums. Nach dem Einmarsch der Nazis erlangten in der Ukraine vor allem zwei Orte traurige Berühmtheit. In der Schlucht von Babi Jar bei Kiew wurden am 29. und 30. September 1941 dreißigtausend Juden erschossen. In Ternopil, nördlich von Czernowitz, ermordeten die Wehrmacht und ihre ukrainischen Helfershelfer die zwölftausend Überlebenden des Ghettos.

Nach der Unabhängigkeit 1991 wurde die Ukraine zum Zentrum jüdischen Lebens in der Sowjetunion. Mitte der Neunzigerjahre lebte hier eine Viertelmillion Juden, das waren dreißig Prozent aller Juden in der UdSSR. Gleichzeitig begann eine große Auswanderungswelle in Richtung Westen. In Czernowitz leben heute nur noch etwa fünftausend Juden.

WERA