Mann mit der Macht zum Sieg

„Wenn wirklich jeder frei wählt, wählen die Tutsi einen Tutsi und die Hutu einen Hutu“

aus Gisenyi DOMINIC JOHNSON

„Tora Paulo Kagame“ – „Wählt Paul Kagame“ steht Weiß auf Tiefblau auf dem Transparent über der Straße, „der, der unser Land gut führt“. An der Ortseinfahrt hängt ein Kagame-Poster. Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen sind voll von Paul Kagame. Geht man nach dem sichtbaren Wahlkampf, ist Ruandas derzeitiger Präsident der sichere Sieger der Präsidentschaftswahl am heutigen Montag.

Für Ruanda ist dieser Tag ein Schicksalstag. Noch nie zuvor hat das Land freie Wahlen erlebt. Das historische Ereignis kommt keine zehn Jahre nach dem Völkermord von 1994, als bis zu eine Million Menschen, zumeist Angehörige der Tutsi-Minderheit, von Armee und Milizen umgebracht wurden. Paul Kagame ist Tutsi. Er war 1994 der Militärführer der Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front), die das für den Völkermord verantwortliche Regime stürzte und dann die Macht ergriff, und ist seit 2000 Staatspräsident. Er will nun das scheinbar Unmögliche beweisen: dass Ruandas Hutu-Mehrheit aus freien Stücken einen Tutsi zum Präsidenten wählt.

Damit das klappt, lässt Kagame es auf nichts ankommen. Seine RPF beherrscht die öffentliche Wahrnehmung, sechs weitere politische Organisationen, darunter ein Großteil der im Parlament vertretenen Parteien, stehen hinter seiner Kandidatur. Die einzige ernst zu nehmende Oppositionspartei, die Hutu-dominierte MDR (Republikanisch-Demokratische Bewegung), ist seit Sommer verboten, weil sie nach einem Befund des Parlaments „ethnische Spaltung“ propagiert und damit die Verfassung bricht. Der einzige ernst zu nehmende Oppositionskandidat, Faustin Twagiramungu, ist damit seiner Partei beraubt und muss als Unabhängiger kandidieren. Zwei weitere Kandidaten gelten als völlig chancenlos.

„Ich sehe nur einen einzigen Kandidaten“, sagt Pierre M., Bewohner der nordostkongolesischen Distrikthauptstadt Gisenyi. „Die RPF geht von Haus zu Haus und ruft die Leute zu Nachbarschaftsversammlungen, wo sie ihnen erklärt, dass es wichtig ist, wählen zu gehen und auch richtig zu wählen: Paul Kagame. Warum? Er sei Ruandas Befreier und Befrieder, er stehe für Versöhnung und für nachhaltige Entwicklung, weil er den Frieden garantiert. Er verspricht drei Jahre kostenlose Grundschulbildung. Er hat Völkermordhäftlinge freigelassen, die Gacaca-Dorfgerichte für Völkermordverdächtige eingeführt, er predigt Vergebung, die anderen Hass und Gewalt.“

Die RPF hat sich in den letzten Jahren von einer militärischen Bewegung in eine Massenpartei verwandelt. Sie hat noch in den abgelegensten Dörfern treue Mitglieder geworben, so dass, wie ein Menschenrechtsaktivist lästert, allein die RPF-Mitglieder schon die absolute Mehrheit garantieren dürften. Unter vielen Hutu findet die Partei Anklang – bei der RPF mitzumachen gilt als Treuebeweis für den Staat.

Im Nordwesten Ruandas um Gisenyi und Ruhengeri ist dieses Gefühl besonders stark. Hier leben fast nur Hutu, hier waren die Führer des für den Völkermord von 1994 verantwortlichen Regimes zu Hause, hier herrschte noch bis 1998 Krieg zwischen Ruandas RPF-Armee und eingesickerten ruandischen Hutu-Milizen aus dem Kongo. Heute hören die Bürger, sie sollten froh sein, wie milde man mit ihnen umgegangen sei, und alles hätten sie nur einem zu verdanken: Paul Kagame. „Die Leute sehen, wer die Macht hat: Kagame und die Armee. Und sie wissen, dass die, die das mit Gewalt ändern wollten, gescheitert sind“, resümiert Pierre M. die Stimmung. Dazu kommt: Das RPF-Parteibuch ist die Eintrittskarte für gute Jobs im Staatssektor, und RPF-nahe Firmen florieren im Boomklima der ruandischen Wirtschaft.

Paul Kagame ist eigentlich ein verschlossener Mensch, der ungern öffentlich auftritt. Jetzt führte er einen Wahlkampf im Stil eines Volkstribuns. „Er hat in den USA gelebt; er weiß, wie man eine Wahl gewinnt“, meint eine Großfarmerin aus Gisenyi. Sein Siegesgeheimnis: Die Gewinner des „neuen Ruanda“ sind sowieso für ihn; die anderen haben ein schlechtes Gewissen oder gar Blut an den Händen und sollen daher Reue zeigen, indem auch sie ihn unterstützen. Die zur Überwindung des Hutu-Tutsi-Gegensatzes in Ruandas neue Verfassung hineingeschriebene Bestimmung, wonach „ethnisches oder regionales Spaltertum“ verfassungswidrig ist, erweist sich dabei als überaus nützlich. Immer wieder wird Oppositionskandidat Twagiramungu vorgeworfen, der Kandidat der Spaltung zu sein, während Kagame der Kandidat der Einheit ist.

Das Duell Kagame–Twagiramungu ist historisch belastet. Twagiramungu ist der Schwiegersohn von Ruandas erstem Präsidenten Gregoire Kayibanda, der in seiner Amtszeit 1962 bis 1973 die Diskriminierung gegen Tutsi einführte und viele von ihnen, darunter Kagames Familie, ins Exil trieb. In den frühen 90er-Jahren war Twagiramungu Wortführer der zivilen demokratischen Opposition gegen die damalige Diktatur, während Kagame den bewaffneten Kampf der Tutsi-Exilanten in der RPF führte. Nach dem Völkermord machte die RPF Twagiramungu zum Premierminister. Aber er hielt es nur ein Jahr aus und ging 1995 ins Exil; er behauptete, die RPF habe nach ihrem Sieg hunderttausende Hutu umgebracht, und endete knapp vor der Leugnung des Völkermordes an den Tutsi.

„Die Leute sehen,wer die Macht hat: Paul Kagame und die Armee“

Jetzt führt Ruandas bekanntester Hutu-Politiker mangels Partei einen Wahlkampf ohne Apparat, ohne Aktivisten, ohne flächendeckende Werbung. Mitte August hätte Twagiramungu fast hingeschmissen. Die Wahlkommission entdeckte in seinen Wahlkampfzetteln die Aussage, Twagiramungu „tritt für die Spaltung der Ethnien ein“. Ein Druckfehler, protestierte der Kandidat: Jemand in der Druckerei müsse aus Versehen oder absichtlich das „nicht“ weggelassen haben. Twagiramungu hat doch weitergemacht. „Er ist gereift“, sagt ein Vertrauter. „Er spricht überlegter, nicht mehr so aufgeheizt. Er sagt Dinge, die stimmen: dass es keine wirkliche Versöhnung gegeben hat, dass es Redefreiheit geben muss, dass die ländlichen Regionen vernachlässigt werden.“ Aber nur wenige kriegen das zu hören. Als er nach Gisenyi zur Großkundgebung kommt, verlieren sich im Sportstadium gerade 300 Menschen, die Hälfte davon sind Sicherheitskräfte.

Aber selbst Kagames Unterstützer wissen, dass dies nichts heißen muss. Ruander zeigen ihre Gefühle selten öffentlich. Die entscheidende Frage am Wahltag wird sein, für wie geheim die Wähler die Wahl halten. „Wenn in Ruanda wirklich jeder frei nach seinem Gewissen wählt, wählen die Tutsi einen Tutsi und die Hutu einen Hutu, und dann verliert Kagame haushoch“, meint in Gisenyi ein NGO-Leiter.

Er zieht eine brisante historische Parallele: Vor zehn Jahren, im Juli 1993, erlebte das benachbarte Burundi ebenfalls seine allerersten freien Wahlen, und Tutsi-Militärherrscher Pierre Buyoya war siegessicher. Aber verlor er völlig überraschend haushoch an Hutu-Oppositionsführer Melchior Ndadaye. Das Land hat sich davon nie erholt: Die Armee tötete den frisch gewählten Präsidenten, und seitdem herrscht Bürgerkrieg mit bislang über 300.000 Toten. Könnte das jetzt auch in Ruanda passieren? Aus Kreisen der staatlichen Kommission für Einheit und Versöhnung, die politische Bildungsarbeit zur Überwindung der Hutu-Tutsi-Spaltung leistet, ist zu hören, dass seit ein paar Tagen ein Stimmungsumschwung zugunsten Twagiramungus stattfindet: im Westen und Südwesten des Landes, wo 1994 der Völkermord am längsten anhielt; und unter Hutu-Intellektuellen. Von ihnen sei zunehmend zu hören, der Völkermord sei Propaganda, die Tutsi hätten jetzt lange genug regiert und es sei allmählich Zeit, dass die Hutu sich organisieren, um die Macht zurückzuholen, die ihnen nach dem demokratischen Mehrheitsprinzip sowieso zustehe. „Und dann hätten die Tutsi gar nichts mehr zu sagen“, schildert ein Kommissionsmitglied die Stimmung.

Ruandas Paradox ist: Nur indem sie den Tutsi Kagame wählen, können Ruandas Hutu beweisen, dass sie ethnischen Loyalitäten entsagt haben. Wählen sie einen Hutu wie Twagiramungu, bedeutet das die Bestätigung der Hutu-Tutsi-Spaltung. Alle Arbeit der letzten Jahre in Ruanda zur Modernisierung der politischen Kultur wäre zunichte gemacht – und auch die Tutsi, die Ruandas Armee kontrollieren, würden sich dann frei fühlen, ihren Selbstschutzinteressen gemäß zu handeln. Neue Kriege wären unausweichlich.