Das wahre Leben im falschen

Die DDR ist wieder da. Massenhaft im Massenmedium TV. Keine der Ost-Shows hat den Farbfilm vergessen: Sie setzen auf alltagstauglichen Mainstream, politisch weich gespült. Zwei Stimmen

Endlich war es so weit: Im Sommer 1987 sollte mein Vater mit einem selbst gebauten Surfbrett auf dem Balaton in See stechen. Leider war das Ding vorne viel schwerer als hinten. Ich musste als Ballast mit drauf. Doch auch das half nichts: Wir tauchten U-boot-mäßig ab. Der selbst gebaute Traum versank im Plattensee. Wehmütig schmachtete mein Vater den Wessis hinter her, die mit ihren Brettern kreuz und quer zischten.

Auch in der „ZDF-Ostalgieshow“ bekam das Kapitel „Wie Ossis improvisieren“ einen eigenen Abschnitt. Leider genauso schnell durchgehechelt wie „Unsere Sportler“, „Unsere Künstler“ und „Unser Fernsehen“: Nach dem Prinzip klotzen statt kleckern hatte das ZDF schon Samstag vergangener Woche einen Haufen prominenter DDR-Nasen nach Mainz geladen, wo sie die jungen ostgeborenen Moderatoren Andrea Kiewel und Marco Schleyl regelmäßig abwürgten, wenn sie wirklich was erzählen wollten. Peinlich, aber auch nicht schlimmer als „Wetten, dass …“.

Den wahren Tiefpunkt der bisherigen Ost-Shows lieferte aber der MDR: Kritisch wollte die Show sein, hatte man sich im Vorfeld gebrüstet. Keiner sollte dem Sender den Vorwurf machen können, hier würde ein Unrechtssystem verklärt. Dem „Kessel DDR“ präsidierten Sangesbruder Gunter Emmerlich und Eisschnellläuferin Franziska Schenk. Die Zutaten: Sex, FKK, Schlüpfrigkeiten. Eva Maria Hagen wurde als „unser blondes Busenwunder“ vorgeführt. Der verschüchterte Magazin-Fotograf Günter Rössler mit einer nackten Ollen konfrontiert, die als „unser Sommergirl Nicki“ in der Deko rumsaß. Als Krönung kam Hans-Dietrich Genscher, als Bundesaußenminister angekündigt. Wohlgemerkt, nicht als Exaußenminister.

Die Rettung folgte, wer hätte das gedacht, auf Sat.1. „Meyer & Schulz – die ultimative Ost-Show“ mit Aktendreher Ullrich Meyer und Boxlegende Axel Schulz schaffte tatsächlich, was ZDF und MDR vergeigt haben: eine Ahnung zu geben, wie sich die DDR anfühlte (Klopapier aus Dachpappe), roch (Aktion-Spray) und urlaubte (Klapp-Fix-Wohnanhänger). Doch es war nicht nur das Herzeigen von DDR-Alltagsgegenständen. Sondern die Beschränkung auf wenige Promi-Gäste, die man richtig plaudern ließ. So verriet Enie van de Meiklokjes, wie sie sich zu DDR-Zeiten die Haare rot färbte – mit Fußpilzentferner.

Die Ost-Shows wollen und können nicht das Erinnern an einen Unrechtsstaat ersetzen. „Aktion“-Spray und „Bambina“-Schokolade sind für „uns“, was dem Wessi Nutella und Capri-Sonne sind – ein identitätsstiftendes Gerüst, an dem wir uns entlanghangeln können. Unsere Generation Trabi sozusagen.

Und: Die Shows bauchpinseln endlich mal den Ossi, der bisher im Gesamtsdeutschland-TV kaum vertreten war. Sie sind ein soziokulturelles Spektakel, das – logischerweise – mit Geschichtsunterricht nichts zu tun hat, eine mainstreamige, popkulturelle Renaissance der DDR.

Früher waren die Ossis immer neugierig auf den Westen. Seien wir doch mal froh, dass es auch ein umgekehrtes Interesse zu geben scheint. SILVIA HELBIG (27)

Haben die beschränkten Ossis nie gemerkt, in welchem Paradies sie eigentlich lebten? Wie konnte jemand auf die Idee kommen, trotz Rennpappe und Ferienlager, Präsent-20-Anzug, FKK-Strand und Stern-Radio das Weite zu suchen?

Unsere Nachgeborenen mit den Wiedervereinigungsschulbüchern müssen sich das nach diesem Wochenende fragen. Insgesamt drei Stunden und zehn Minuten Ostalgie kaschierten nur mühsam die Hilflosigkeit im Umgang mit dieser DDR, dem unbekannten Wesen. Sie kaschierten dagegen überhaupt nicht, worum es den Quotenmachern wirklich geht: eine Modewelle der Ablenkungsindustrie nicht zu verpassen. Die nur nachschleppt, was in der Bewältigungsliteratur der Golf-Parallel-Generation (Ost), Ossi-Versandhäusern und FDJ-Partys schon lange läuft.

Hatten sie nicht etwas Kernig-Genügsames, diese Ureinwohner zwischen Fichtelberg und Kap Arkona, die an der Ostsee den Garten Eden lebten, Wäscheschleudern auf Gummireifen bändigten und sich mit Hartholzpapier den Hintern wischten? Fußballer wie Peter Ducke spielten für 900 Mark im Monat, man wartete auf einen Kneipentisch eine halbe Stunde und auf ein Auto ein halbes Leben.

Was wir aber alternativ zur nie eingelösten „immer besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse“ taten und lebten, zeigte keine der drei Sendungen. Wir Ossis, des Primärerlebens inzwischen auch immer unfähiger, halten’s ja selbst kaum noch für möglich. In den ersten Jahren nach 1990 ist das alles brutal niedergemacht und verspottet worden. Beitritt war eben Beitritt. Kein Wort davon beim MDR oder auf Sat.1. Allein schon deshalb haben „Ein Kessel DDR“ oder „Die ultimative Ost-Show“ etwas Makabres. Grotesk, wie der MDR offenbar nach Vorfeldkritik aus der CDU-Ecke in Person des universalkompatiblen Moderators Gunter Emmerlich (für den die Welt nie in Gerstungen oder Marienborn endete) der Sendung ein unechtes „Ja, aber“ aufpfropfte. Die Öffentlich-Rechtlichen sollten das auftragsgemäß besser können. Weder die tausendste Wiederbeschwörung des ausgelutschten 89er-Pathos noch die bei Sat.1 zelebrierten rührend-scheußlichen Alltagsbehelfe werden dieser anscheinend unsinkbaren DDR gerecht.

Denn es gab das wahre Leben im falschen. Wer es leben konnte, braucht solche Vergangenheitsinszenierungen nicht, sondern kann entspannt selbst mal auf einer Party mit Erfolg „Wenn Mutti früh zur Arbeit geht“ anstimmen oder mit der alten „Schwalbe“ vorfahren. Mir ist meine Sozialisation in der DDR zu wichtig, als dass ich sie zum Objekt einer Fernsehshow verwursten oder von einem unsägliche Hugo Egon Balder kommentieren lassen wollte. Nach Lifestyle-Maßstäben des Westens selbstverständlich, wie auch das neue MDR-Sonnabendquiz „delikat“ nicht verbergen konnte. Und natürlich wollten wir nach Westmusik tanzen, aber ach, als wir sie jeden Tag hatten, war sie schon fade, und jetzt haben die plötzlich Sehnsucht nach uns?! The Show must go on. MICHAEL BARTSCH (50)