Mahmud Abbas droht zu stürzen

Während der palästinensische Premierminister ums politische Überleben kämpft, wächst die Popularität von Jassir Arafat. Israel will Liquidierungspolitik fortsetzen

Palästinenserpräsident Jassir Arafat: „Ohne mich läuft nichts“

JERUSALEM taz ■ Das Kabinett von Mahmud Abbas (Abu Masen) ist gestern in Gaza zu einem Krisentreffen zusammengetreten, kurz bevor das palästinensische Parlament anlässlich des Ablaufs der 100-Tage-Periode der Abbas-Regierung eine Vertrauensabstimmung abhält. Abu Masens politisches Überleben scheint gefährdet, während Jassir Arafats Popularität und Relevanz wachsen. Israel werde mit keiner Palästinenserregierung kooperieren, die von Arafat kontrolliert wird, reagierten Vertreter der Scharon-Regierung auf Gerüchte über einen möglichen Sturz von Mahmud Abbas.

Am Dienstagabend war ein Raketenangriff auf das Auto der drei Hamas-Aktivisten Chaled Massud, Wael Akilan und Massud Abu Sahila in Gaza fehlgeschlagen. Ein 65-jähriger Passant wurde stattdessen getötet und zwanzig weitere verletzt, darunter vier Kinder. Zu der Zeit befand sich Premier Abbas bereits in Gaza, um die Möglichkeit einer neuen Waffenruhe (arabisch Hudna) mit den Islamisten-Organisationen auszuloten.

Israel hat erklärt, es werde sich einer innerpalästinensischen Hudna keinesfalls anschließen, sondern seine Liquidierungspolitik gegen Extremisten fortsetzen, solange die Palästinenserbehörde die Terror-Infrastruktur nicht selbst zerstört. Jassir Arafat, Präsident der Palästinenserverwaltung, sagte gestern in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters, er werde gegen militante Gruppen einschreiten, falls Israel seine Attacken einstelle. Dass er ins Rampenlicht zurückkehren will, unterstrich ein Ausspruch, den Besucher in seinem Hauptquartier „Mukata“ in Ramallah diese Woche zitierten: „Israel und die USA müssen lernen, dass sie zu mir kommen müssen, wenn sie etwas erreichen wollen. Ohne mich läuft nichts.“

Arafat hofft auf ein politisches Comeback, indem er die Fäden zu den wichtigsten Zweigen des Sicherheitsapparates fest in der Hand behält. Während Premier Abbas und sein Sicherheitsminister Mohammed Dahlan nur die präventive Sicherheit mit Polizei und ziviler Verteidigung kontrollieren, behielt Arafat als Präsident den Oberbefehl über die Nationalen Sicherheitskräfte (Pendant zum Militär), den militärischen Geheimdienst und die allgemeine Sicherheit (dem israelischen Mossad vergleichbar). Dem fügte der „Rais“ (arabisch Führer) am Sonntag die Ernennung von Dschibril Radschub zum Nationalen Sicherheitsberater hinzu.

Das schwächt die Position von Abbas und Dahlan beträchtlich. Die Bevölkerung hatte deren Ernennung von Anbeginn als israelisches und US-Diktat verstanden, das die Symbolfigur Arafat erniedrigen sollte. Der sinkende Stern des moderaten Ministerpräsidenten Abbas gibt in Israel Anlass zu schärferen Fragen nach dem aggressiven Einfluss der Armee auf die Regierung.

Militärerfahrene Oppositionspolitiker wie Exgeneral Amram Mitzna und frühere Verteidigungsminister wie Schimon Peres und Benjamin Ben-Elieser halten die Liquidierungspolitik im Hinblick auf die Zukunft des Friedensfahrplans für katastrophal. In Interviews warnen sie, es sei kurzsichtig von der Regierung, sich vom Selbstlob der Armee mitreißen zu lassen. Diese behaupte zu Unrecht, die Angst vor gezielten Tötungen behindere die Aktivitäten der Extremisten auf längere Sicht.

Ein Palästinenser wurde gestern an der Straßensperre zwischen Bethlehem und Jerusalem erschossen, als er einen Soldaten zu erstechen versuchte. Zuvor hatte die Armee die Belagerung von Bethlehem und Jericho aufgehoben, um Versorgungsgüter und Arbeiter passieren zu lassen. In der Wüste Negev wurden vier Beduinen verhaftet, die gestanden, von der Hamas rekrutiert worden zu sein. Sie waren beauftragt worden, Soldaten zu entführen und umzubringen.

Nach vielen vergeblichen Versuchen steht ein Deal zwischen Israel und der Hisbullah über einen Austausch von Gefangenen und Gefallenen in Aussicht. Am Montag hatte Israel die Leichen zweier Hisbullah-Kämpfer ausgehändigt. Die Beiruter Zeitung A-Safir enthüllte, dass es dem deutschen Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau gelungen sei, strittige Punkte zu beseitigen. Für eine Freilassung der vor 16 bzw. 14 Jahren entführten Hisbullah-Führer Adel Karim Obeid und Mustafa Dirani besteht Israel nicht mehr auf Übergabe von den vor 17 Jahren über Libanon abgeschossenen Flugnavigator Ron Arad. Dafür sollen der entführte israelische Geschäftsmann Elhanan Tennenbaum und die Leichen dreier entführter Soldaten von Hisbullah freigegeben werden. ANNE PONGER