Herr Vogt von der Raiffeisen

Zinsen in Gammesfeld: Der Dokumentarfilm „Schotter wie Heu“ porträtiert Deutschlands kleinste Bank. Der einzige Angestellte ist ein Antikapitalist

So wird Effizienz organisiert. Der Vorstandstisch, „auch für Kunden- und Anlagegespräche“, befindet sich neben dem Waschbecken. Der „Buchhaltertrakt“ ist ein Schreibtisch mit Stuhl direkt dahinter. Die Rechenmaschine ist von 1938 und funktioniert durch Kurbeln. Der Kundenschalter ist nicht aus Holz. In der untersten Schublade befinden sich die Luftballons, die Dekoration für den Weltspartag. Willkommen in Deutschlands kleinster Bank.

Fritz Vogt, geschäftsführender Vorstand seit 1967 und einziger Angestellter der Raiffeisenbank Gammesfeld, ist den Medienrummel um ihn und seine kuriose Kreditinstitution gewohnt. Fernsehteams besuchen ihn regelmäßig, auch zu Talkshows ist er schon eingeladen gewesen. Alle wollen sie von ihm dasselbe wissen: wie das geht, eine Bank zu führen, so ganz ohne Computer, Laserdrucker, Internet? Einfach. „Das mache ich alles handschriftlich.“ Wenn ein Kunde etwas vom Konto abheben oder einzahlen möchte, greift der Bankdirektor hier noch zum Füllfederhalter, um die Summe persönlich ins Sparbuch einzutragen. Einmal hatte Vogt sich eine elektronische Briefwaage gekauft und sie gleich darauf wieder fortgeschmissen. „Die war mir zu ungenau.“ Seither wird die Post wieder mit dem Vorkriegsmodell gewogen, das schon sein Vater als Bankdirektor benutzt hatte. Sogar das Telefon hat noch eine Wählscheibe.

Kein Zweifel: Fritz Vogt ist der wichtigste Mann im Dorf. Die Kinder im Kindergarten, die Arbeiter auf der Baustelle, die Gäste in der Kneipe, alle kennen ihn, denn alle haben sie ihm ihr Geld anvertraut. Dabei hat der „Herr Bankier“ von seinem eigenen Stand nicht eben die beste Meinung: „Was ist schon schon ein Bankräuber gegen einen Bankdirektor?“ Weil er es anders machen möchte, gibt er, der sich selbst schon mal als „Antikapitalist“ bezeichnete, die Gewinne an seine Bankkunden weiter. Dreieinhalb Prozent Zinsen gibt es aufs Sparbuch, viereinhalb Prozent kostet ein Kredit, das müssen die großen Kreditinstitute erst mal nachmachen.

Wiltrud Baier und Sigrun Köhler wollten es auch anders machen. Nicht so wie die üblichen Filmteams auf Kuriositätensuche, die zuerst einmal den Bankschalter so mit Beleuchtung und Equipment voll stellen, dass die Bankkunden gar nicht mehr hineinpassen. Fritz Vogt wundert sich nicht mehr, schüttelt höchstens noch ungläubig den Kopf. Und der Gang auf die Weide nach Geschäftsschluss gehört ebenfalls zum Standard der Reportagen über ihn. „Immer ich als Exot im Kuhstall!“

Den Kuhstall des Landwirts Vogt zeigt „Schotter wie Heu“ zwar auch. Aber genauso die Feuerwehr, den Edeka, die Kirche, die Kneipe, das Schotterwerk. Nicht den Bankdirektor mit der Mistgabel, die ganze Gemeinde Gammesfeld im Landkreis Schwäbisch Hall haben Baier und Köhler zur Hauptperson in ihrem Film gekürt. Dafür mussten sie allerdings länger als die zwei Tage bleiben, die es das Team von Fernsehen ausgehalten hat.

Anzeichen für einen „neuen Regionalismus“, wie er für den Dokumentarfilm verkündet wird? So war etwa „Herr Wichmann von der CDU“ von Andreas Dresen ja neben der Darstellung der Mühen eines Nachwuchspolitikers vor allem das Porträt einer Region, die im toten Winkel der Bundespolitik liegt. Entscheidender ist, wie beide Filme die genaue Beobachtung nicht als Selbstzweck betreiben, sondern durch den Blick aufs Regionale Einsichten in Verhältnisse liefern, die die engen geografischen Markierungen weit hinter sich lassen. Die Globalisierung hat um Gammesfeld keineswegs einen Bogen gemacht. Selbst der Euro ist dort angekommen – nur hat Fritz Vogt statt aufwändiger Neuprogrammierungen nur ein Lineal gebraucht: für einen sauberen Strich quer durchs Bilanzbuch. Und danach einfach in der neuen Währung weitergerechnet. DIETMAR KAMMERER

„Schotter wie Heu“. Regie: Wiltrud Baier/Sigrun Köhler. Mit Fritz und Else Vogt, Friedrich und Christiane Dürr. Deutschland 2002, 98 Min.