His own personal Jesus

Hysterie und Splatter: Bisher war die Auferstehung im Fleische ein Vorrecht von Jesus Christus. Nun versucht es auch Mel Gibson mit seinem Film „Passion“ und tritt damit einen ideologisch heftigen Streit um christliche Propaganda und Antisemitismus los

Religiöse Konflikte sind in den USA auch immer Kämpfe um MarktanteileKein Widerspruch zwischen Kirche und Körper: Zu diesem Punkt will Gibson

von GEORG SEESSLEN

„Die Vereinigten Staaten basieren in keiner Hinsicht auf dem christlichen Glauben.“ Das hat der amerikanische Präsident gesagt. Unglücklicherweise war es nicht George W. Bush jr., sondern George Washington. In der Atmosphäre, die sich in der letzten Zeit durchaus lähmend über die USA gesenkt hat, würde dieser Satz schon eher ketzerisch wirken. Die Trennung von Staat und Religion scheint nicht mehr so recht zu funktionieren. So ist es wohl kein Wunder, dass man nach Positionen für eine Widerstandslinie von Laizismus, Toleranz und Respekt sucht. Und der bevorzugte Kampfschauplatz ist die populäre Kultur, das Entertainment, Hollywood zum Beispiel.

Mel Gibson, laut Entertainment Weekly der drittmächtigste Mann in Hollywood (nach Steven Spielberg und Tom Hanks), ist als – gelinde gesagt – Erzkonservativer bekannt. Sein eigener Film „Braveheart“ ist ein Schlachtengemälde voller vormoderner Werte und Fantasien; Filme wie „The Patriot“ und „We Were Soldiers“, in denen er den Hauptdarsteller gibt, porträtieren Männer, die noch Helden sind, in sich wandelnden Welten, naiv und ehrlich, messianisch und leidend. Gibson ist Mitglied der Catholic Church, die ausdrücklich alle Reformen ablehnt, die auf dem zweiten Vatikanischen Konzil verkündet wurden. Das bedeutet nicht nur, dass man hier nach wie vor die Messe auf Lateinisch zelebriert. Auch die Abkehr von der „Kollektivschuld“-These, die die Juden als „Mörder des Heiland“ schildert, hat diese katholische Gegenkirche nicht mitgemacht. Dass Mel Gibsons Vater überdies dieses Konzil als von Juden gelenkte Verschwörung gegen die reine Lehre angegriffen hat und zu den lautstarken Holocaust-Leugnern gehört, hat weder der Catholic Church noch der Familie Gibson besonderes Vertrauen eingebracht.

Natürlich kann niemand etwas für die kriminellen Dummheiten seines Vaters. Aber die Gibsons sind durch ihre Kirche miteinander verbunden, die immer wieder solche Ungeheuerlichkeiten verbreitet. Von einer ausdrücklichen Distanzierung ist nichts bekannt.

Dass die Alarmglocken schrillen, wenn jemand, der in eine solche fundamentalistische, ultraorthodoxe Kirche sein Vermögen und seine Persönlichkeit steckt, einen Christus-Film dreht, ist also einigermaßen nachvollziehbar. Schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als um den Religionsfrieden in einem Land, das seine spirituellen Grundlagen immer wieder in den Produkten der popular culture verhandelt. Weltoffene Katholiken und Juden waren gleichermaßen skeptisch, und insbesondere die jüdische „Anti Diffamation League“ hatte ein wachsames Auge auf das Projekt. Die ADL ist ein höchst sinnvolles und notwendiges gesellschaftliches Instrument, das nicht nur verbalen Diffamierungen, sondern auch rassistischer Gewalt erfolgreich begegnet. Wie alle gesellschaftlichen Instrumente freilich hat auch dieses eine Tendenz, sich zu verselbstständigen. Sie gehört zu denjenigen Institutionen, deren informelle Macht hier und dort dem nahe zu kommen droht, was man anderswo Zensur nennt.

Musste also nur etwas geschehen, den dazu schon ausgewählten Stein ins Rollen zu bringen. Vom Set der Dreharbeiten zu „The Passion“ wurde eine Kopie einer der Drehbuchversionen geschmuggelt, die sowohl katholischen als auch jüdischen Institutionen zugespielt wurde. Beide äußerten nach der Lektüre erhebliche Bedenken.

Gibsons Produktionsfirma Icon, die den Film mit eigenem Geld des Regisseurs herstellte (von 30 Millionen Dollar ist die Rede), versuchte sich in Schadensbekämpfung. Der Marketingchef behauptete gar, der Film sei geeignet, den jüdisch-christlichen Dialog voranzubringen. Allerdings verspielten alle zusammen auch wieder ihr Vertrauen. Bei der ersten Sichtung einer Rohfassung waren nur Kritiker und Theologen zugelassen, die an ihrer loyalen Haltung keinen Zweifel gelassen hatten. Und während man sich einerseits zur Toleranz bekannte, verkündete die Produktionsfirma andererseits stolz auf der eigenen Website, dass sich während der Dreharbeiten im Allgemeinen und bei den Aufnahmen der Kreuzigung insbesondere mehrere Wunder ereignet hätten. Zum Beispiel sei ein epileptisches Kind plötzlich geheilt worden, und ein Blinder konnte wieder sehen.

Heavy Stuff in einer Gesellschaft, in der religiöse Konflikte immer auch Kämpfe um Marktanteile sind. Was das Filmische anbelangt, scheint „The Passion“ ein durchaus interessantes Experiment: Gedreht in Italien, übrigens an den Schauplätzen von Pierre Pasolinis „Matthäus-Passion“ in der Basilicata, ist der Dialog ausschließlich in Aramäisch und Lateinisch. Bei den Testvorführungen bot man zwar englische Untertitel an, aber im Augenblick scheint Gibson entschlossen, auf die Bildmächtigkeit seiner Erzählung zu vertrauen, in deren Zentrum eine ausgedehnte Darstellung der Kreuzigung selber, unterbrochen von kurzen Rückblenden, steht. Ein waghalsiges Vertrauen in die Bilder, die Kameramann Caleb Deschanel in betonter Anlehnung an die Gemälde des Caravaggio gestaltete.

Bei einer zweiten Vorführung von „The Passion“, der zu Ostern 2004 in die Kinos kommen soll, waren auch solche Leute eingeladen, die sich anhand des Drehbuchs gegen das Projekt geäußert hatten. Einige schienen danach tatsächlich einigermaßen beruhigt, manche sogar, wie Carl Thomas, befanden „The Passion“ als „beautiful, accurate, disturbing, realistic and bloody“. Rabbi Eugene Korn von der ADL allerdings ließ sich auch nach der Sichtung nicht von seinen „großen Bedenken“ abbringen, und Abraham Foxman erinnerte an die Geschichte der christlichen Passionsspiele mit ihren antisemitischen Zügen. Die Theologin Schwester Mary C. Boys von der Union Theological Seminary schließlich zeigte sich entsetzt über die „Fixierung auf die Gewalt, das körperliche Leiden, den Schmerz, den man Jesus zufügte“.

Wohl wahr. Denn das zumindest kann man mittlerweile selbst anhand des ins Internet gestellten Trailers nachvollziehen. Mel Gibsons Obsession scheint da einigermaßen zu sich gekommen: Im schlimmsten Fall erwartet uns da eine Art Splatter-Version der Passionsgeschichte. Ein ganz direktes Blutbad, ein physischer Kampf mit dem Teufel, Religion Icon beeilt sich auch zu erklären, der Film sei nur für Erwachsene gedacht. Es ist, soviel steht schon einmal fest, wohl der grimmigste und grausamste Passionsfilm bislang. Vielleicht ist es einer der persönlichsten Gottesbilder der Religions- und Filmgeschichte, Mel Gibsons own personal Jesus.

Mehr als durch eine diskursive Ideologie kann der Film durch seine konsequente Darstellung des körperlichen Leidens in der Tat zum religiösen Sprengstoff werden. Es ist „schwarze Religion“, Religion, die weh tut. Im Plot, den Gibson selbst in Zusammenarbeit mit Ben Fitzgerald („Wise Blood“) nach den Texten des Neuen Testaments und nach „The Dolorous Passion“ von Anne Catherine Emmerich verfasste, wird sehr deutlich betont, dass auch Jesus und seine Jünger Juden waren. Das Wort „Juden“ kommt allerdings im Film nicht vor, ebenso wenig wie alle Symbole, die heute noch jüdisch identifiziert sind. Gibson, so scheint’s, will nicht zur Geschichte, er will zu dem Punkt, wo es noch keinen Widerspruch zwischen Kirche und Körper gibt.

Aber allmählich nimmt der Film die Form eines Work in progress an. Immer wieder wird die Kritik aufgenommen und in die endgültige Fassung übernommen. Ob so etwas einem Film gut tut, ist eine andere Frage. Und in solchen Fällen pflegen sich auch besonders falsche Verbündete zu melden. Die Zahl antisemitischer Briefe und Mails, die die ADL und das Simon Wiesenthal Centre verzeichnete und die sich explizit auf den Film bezogen, wuchs sprunghaft an. In der Washington Post schrieb Laura Ingraham, Gibsons Film sei gut geeignet, „das antichristliche Establishment in Hollywood aufzuschrecken“, und in den Internet-Foren wurde die ADL mit stalinistischer Kulturbürokratie oder mit der Fatwa gegen Salman Rushdie verglichen.

Die Debatte ist also nicht nur schon über alle Gebühr hysterisiert, sie offenbart recht schnell auch ihren Stellvertretercharakter. Einen Missbrauch, der womöglich das Werk eines Naiven, nicht aber eines Unschuldigen trifft. Dass es um einen Konflikt zwischen Christen und Juden geht, ist nur ein äußerer Anlass. In der Tiefe offenbart sich auch dieser Konflikt als einer zwischen rechts und links oder, allgemeiner, zwischen religiösem Patriotismus und säkularem Liberalismus in den US of A.

Absurd dabei ist natürlich der Umstand, dass man Zeuge einer Debatte ist, deren eigentlicher Gegenstand für die Öffentlichkeit so gut wie unsichtbar ist. Es kann sich etwas wiederholen, was auch bei dem Skandal um Scorseses „The Last Temptation“ zu beobachten war: Der Skandal hebt sich vom Film ab, wird wichtiger und sogar unterhaltsamer. Und sein Gegenstand geht verloren.

Das wäre für beide Teile schade: für einen Film, den man als cineastische und religiöse, jedenfalls persönliche Vision durchaus erwarten kann, und für eine öffentliche Debatte, die vielleicht tiefer geht, als man auf den ersten Blick wahrnimmt – vom alten Europa aus ohnehin. Denn es ergeben sich zwei Fragen, die miteinander fatal verknüpft sind. Erstens: Wo sind die Grenzen für eine fundamentalistische christliche „Propaganda“, die andere Religionen oder Nichtreligiösität beleidigt, auch da, wo eine solche Beleidigung nicht intendiert sein mag. Zweitens aber: Wo sind die Grenzen gesellschaftlicher und religiöser Pressure Groups bei der Einflussnahme auf Kunst und Information?

Dadurch, dass sich beide Fragen gleichzeitig stellen, ergibt sich für die liberale Position eine unangenehme Falle. Wenn zwei Diskurse sich streiten, freut sich die Ideologie. Oder die Verschwörungstheorie.