CSU nicht aus dem Schneider

So bleiben die Umstände der Schneider-Insolvenz ungeklärt. Vor allem was die Rolle der LfA angeht

von THILO KNOTT

Otto Wiesheu hält die Geschichte längst für Geschichte. „Interessiert mich heute nicht mehr“, sagte der bayerische Wirtschaftsminister noch im Frühjahr. Doch die Geschichte holt Wiesheu wieder ein. Drei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern gerät ausgerechnet der alte CSU-Haudegen in den Strudel der so genannten Schneider-Affäre. Ende Januar 2002 meldete die Schneider Technologies AG (knapp 700 Beschäftigte) Insolvenz an. Die Pleite hat nun ein juristisches Nachspiel – auf der Anklagebank sitzt die Landesanstalt für Aufbaufinanzierung (LfA), die landeseigene Förderbank. Die LfA war Hauptaktionärin des Produzenten von Unterhaltungselektronik, hielt zuletzt noch 18,18 Prozent der Aktien und hatte auch erhebliches Kapital investiert.

Am 1. Oktober wird vor dem Landgericht Düsseldorf erstmals eine Schadensersatzklage von Aktionären der Schneider Technologies gegen die LfA verhandelt. Streitwert: 6 Millionen Euro. Kläger ist die RTC Consulting & Beteiligungs GmbH. Die Klage ist laut Klaus Beisken von der Kanzlei Kroke in Düsseldorf „ein Musterprozess“. Weitere Aktionärsklagen könnten also folgen. Der Vorwurf: Die LfA Förderbank Bayern hat falsche Pflichtmeldungen ausgegeben und die Aktionäre getäuscht.

Eine zweite Klage gegen die LfA wird folgen. Die Firmenerben und Anteilseigner Albert und Bernhard Schneider wollen ebenfalls Schadensersatz. Streitwert: 57 Millionen Euro. Der Vorwurf: Die LfA habe sich „faktisch die Herrschaft“ des Unternehmens gesichert und Schneider in den Ruin getrieben.

Sogar Brüssel beschäftigt sich mit dem Fall Schneider. Nach einer Subventionsbeschwerde hat die Europäische Kommission ein Prüfverfahren unter dem Aktenzeichen CP 31/2003 eingeleitet. Der Verdacht: Die LfA könnte gegen Wettbewerbsrecht und Kreditwesengesetz verstoßen haben – weil sie mit staatlichen Mitteln eine Pleitefirma künstlich am Leben gehalten hat.

Was dieses juristische Nachspiel der Schneider-Pleite mit Otto Wiesheu zu tun hat? Wiesheu ist nicht nur Wirtschaftsminister der CSU, er ist auch Verwaltungsratschef der LfA Förderbank.

Maxhütte, Kirch, Grundig, FairchildDornier, Schmidt Bank: Die Schneider Technologies AG lässt sich einreihen in eine lange Liste von Unternehmen, die so gar nicht in das Bild vom blühenden Wirtschaftsstandort Bayern passen. Überall hatten diese Firmen Existenznöte. Und immer engagierte sich die bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Edmund Stoiber – auch mit erheblichen Geldbeträgen. Bis zur Pleite. So auch bei Schneider.

Dem Unternehmen im schwäbischen Türkheim, bekannt auch unter dem früheren Namen Schneider Rundfunkwerke, ging es seit Jahren schlecht. Der Produzent von Fernsehgeräten und Stereoanlagen hatte sich vor allem beim PC-Geschäft Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger verspekuliert – und konnte nach einem kurzen Boom mit den Konzernen aus Asien nicht mehr mithalten. Millionenverluste waren das Ergebnis.

Der vermeintliche Lichtblick war die zweite Schneider-Sparte: Die 100-prozentige Tochter Schneider Laser Technologies (SLT). Bei der Funkausstellung 1993 in Berlin präsentierte Schneider eine Weltneuheit: das Laser-Fernsehen. Mit diesem Verfahren wurden Bilder auf beliebige, auch unebene Flächen projiziert – gestochen scharf. Die Vision: Was bei Flugsimulatoren und Planetarien angewandt wurde, sollte auch die Wohnzimmer Einzug erobern. Irgendwann. Doch aus dem Traum wurde nichts. Die Firma Jenoptik lieferte die nötigen Laserquellen mit Qualitätsmängeln, die bis zur Insolvenz im Januar 2002 nicht behoben wurden. Unrealistisch war, die Defizite „bis 2002 erfolgreich“ zu beseitigen, wie es im Geschäftsbericht 2000 angekündigt wurde. Die Laser-Sparte von Schneider schrieb nie schwarze Zahlen.

Die Laser aber beflügelten die Fantasien der Analysten und Anleger – und auch die der LfA. In den Jahren vor dem Laser-Hype hielt sich der Aktienkurs konstant zwischen 10 und 15 Euro. Bei der letzten Kapitalerhöhung im April 2000 verkaufte Schneider 1.153.044 Millionen Aktien zu 40 Euro. In dem Verkaufsprospekt, das die LfA zusammen mit der Investmentbank Lehman Brothers herausgab, wurde die Zuverlässigkeit der Laser angepriesen. Danach schnellte der Kurs sogar auf 70 Euro, Schneider hatte einen Börsenwert von über 900 Millionen Euro. Ein Analyst von Lehman Brothers veranschlagte das angebliche Kursziel sogar auf 120 Euro. Die Aktionäre investierten – auch weil das Land Bayern eingestiegen war. Heute ist die Aktie noch ein paar Cent wert.

Die LfA stieg 1998 bei Schneider ein, obwohl es Mitte der Neunziger von Banken Hinweise gab, eine Kreditvergabe rechtfertige sich nicht. Wirtschaftsminister und LfA-Verwaltungsratschef Wiesheu setzte sich darüber hinweg – und gab nach der Insolvenz im bayerischen Landtag zu: Ein Bankchef habe aufgrund von Wiesheus Drängen einen Vermerk gemacht, beim Schneider-Engagement nur auf „politischen Druck“ gehandelt zu haben. Schneider wurde quasi ein halbstaatliches Unternehmen. Die LfA hielt zeitweise 63,4 Prozent der Aktien, der Einstieg kostete sie lediglich den symbolischen Preis von einer Mark (die Schneider-Brüder traten auch noch ihr Stimmrecht bis 31. August 2001 an die LfA ab). Zum Zeitpunkt der Insolvenz 2002 war die LfA mit 18,18 Prozent immer noch Hauptaktionärin. Doch eine Verantwortung der Bank für die Insolvenz lehnt Wiesheu kategorisch ab. Die Liquidität des Unternehmens sei „zur Zeit der Insolvenzanmeldung erschöpft“ gewesen. Er sprach sogar von Täuschung der LfA durch das Unternehmen: Was „finanziell gegenüber der LfA dargestellt worden ist, hat etwas schöner geklungen, als es tatsächlich war.“

Täuschung der LfA? Frisierte Bilanzen? Wusste die LfA mitsamt Wiesheu nichts vom Zustand des Unternehmens? Als Mehrheitsaktionär? Die LfA blockt mittlerweile zu Fragen nach den Verantwortlichkeiten. Anfragen zur Insolvenz der Schneider Technologies und der Klage gegen die LfA werden mit den dürren Worten beantwortet: „Aus Sicht der LfA entbehrt die Klage jeder tatsächlichen und rechtlichen Grundlage. Darüber hinaus bitten wir um Verständnis, dass wir aufgrund des anhängigen Verfahrens sowie aus Gründen des Bankgeheimnisses und Datenschutzes grundsätzlich keine weiteren Auskünfte erteilen.“ Der Vorstand, erklärte LfA-Sprecherin Andrea Bergande auf Anfrage, habe sich „entschlossen, sich zurückzuhalten“.

So bleiben die Umstände der Schneider-Insolvenz genauso ungeklärt wie die Rolle der bayerischen Landesregierung – es gibt jede Menge Ungereimtheiten. Vor allem was die Rolle der LfA angeht. Eine Doppelrolle, schließlich war die Förderbank Hauptaktionär und Hauptgläubiger in einem.

Dass die LfA nichts von der „mangelnden Liquidität“ gewusst haben will, ist schwer nachzuvollziehen. Offensichtlich gibt es personelle Verstrickungen auf höchster Ebene zwischen der LfA und den Schneider-Gremien. So saß mit Franz Josef Schwarzmann immerhin ein Ex-LfA-Vorstand (und früherer Rechtsreferent des bayerischen Staatsministeriums) im Schneider-Aufsichtsrat. Auch Schneider-Vorstand Ralf Adam, der den Gang in die Insolvenz letztlich zu verantworten hat, kam 2000 von der LfA. Auf der Schneider-Hauptversammlung am 19. Juli 2000 sagte Adam den anwesenden Aktionären, seine Position als LfA-Beamter befinde sich „in Abwicklung“, so dass er „in wenigen Tagen niemandem mehr weisungsgebunden“ sei. Dem war nicht so. Auf eine schriftliche Anfrage des Grünen-Landtagsabgeordneten Martin Runge erklärte immerhin Otto Wiesheu, Adam sei nur „aus dem bayerischen Staatsdienst beurlaubt“ gewesen. „Sein Status als Beamter des Freistaats Bayern blieb davon unberührt.“ Überhaupt war Adam schon vor seiner offiziellen Bestellung bei Schneider tätig. Er hat zusammen mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Haibel die Bestellung des einstigen Vorstandschefs Benedikt Niemeyer unterschrieben – als „Schriftführer“, wie aus einem der taz vorliegenden Dokument hervorgeht. Jenem Niemeyer, dem die LfA die Hauptschuld des unternehmerischen Niedergangs gibt.

Ralf Adam trat am 8. Mai 2002 mit Vorstandskollege Hans Szymanski zurück, nachdem deren Insolvenzplan durch die LfA und andere Gläubigerbanken abgelehnt wurde. Heute ist er Justisziar im Staatlichen Hofbräuhaus – wieder als beurlaubter Beamter.

Die LfA behauptet jedenfalls, sie habe „zu keinem Zeitpunkt die unternehmerische Entscheidung“ der Firma beeinflusst.

Auf der IFA 1993 präsentierte Schneider eine Weltneuheit: das Laser-Fernsehen. Aus dem Traum wurde nichts

Es gibt weitere Ungereimtheiten. Zum Beispiel, in welchem Maße die LfA durch den Schneider-Einstieg Profit geschöpft hat. Mitte 1999 besaß die LfA 57 Prozent der Aktien. Diese Aktienmehrheit hat die Förderbank dann in mehreren Schritten „börsenschonend abgegeben“ (Wiesheu) – und hielt zuletzt noch 18,18 Prozent. Das ergibt Privatisierungserlöse in mindestens hohem zweistelligen Millionenbereich. Wohin diese Privatisierungserlöse allerdings geflossen sind, ist das Geheimnis der LfA. In deren Geschäftsberichten schweigt man sich über den Verbleib aus. „Das weiß nicht mal der Wirtschaftsausschuss“, sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen, Martin Runge.

Auch ihre Gläubigerrolle spielte die LfA aus. Schneider gewährte sechs Gläubigerbanken einen Sicherheitenpool-Vertrag für die Laser-Sparte: dem Hauptaktionär LfA, der Deutschen Bank, der Dresdner Bank, der Bayerischen Landesbank, der Bayerischen Hypovereinsbank und der Sparkasse Memmingen-Mindelheim-Landau. Ohne erkennbare Gegenleistung, aber mit Zugriff der Gläubigerbanken auf die wertvollen Patente der Laser-Sparte. Das war noch im Januar, wenige Tage bevor die Banken die Türen für das Unternehmen endgültig schlossen. Der später eingesetzte Insolvenzverwalter für die Schneider Laser Technologies, Bruno Kübler, hat diesen Vertrag nicht angefochten, obwohl er es hätte tun können. Er erhielt eine Anzeige wegen Gläubigerbegünstigung.

Im Mai 2002 lehnte die LfA dann gemeinsam mit anderen Banken den Rettungsplan ab, nur die beiden Schneider-Brüder stimmten dafür. Sogar der Arbeitnehmervertreter, Raci Dikkaya, war dagegen, obwohl er Ende Januar, kurz nach Feststellung der Insolvenz noch getönt hatte, „im Konvoi nach München“ zu marschieren und „Zelte im Garten des bayrischen Wirtschaftsministeriums von Otto Wiesheu aufzuschlagen“. Heute ist das CSU-Mitglied Dikkaya Schatzmeister des CSU-Ortsvereins Markt Wald.

Die LfA hat danach Forderungen beim Amtsgericht Memmingen gestellt (Aktenzeichen IN 13/02). Drei Darlehensforderungen in Höhe von 5.198.685 Euro, 2.135.618,33 Euro und 5.713.687,50 Euro sowie eine Nebenkostenforderung aus Mietverhältnissen von 617,95 Euro. Was davon mittlerweile in die Kassen der LfA zurückgelangt ist, ist unbekannt.

Die beiden Schneider-Sparten wurden jedenfalls im Oktober letzten Jahres verkauft: Der Insolvenzverwalter Michael Jaffé, der später auch die Kirch-Pleite für die bayerische Regierung abwickelte, gab der Hongkonger Holding TCL den Zuschlag für die eine Tochter, Schneider Electronics. Verkaufspreis: 8,2 Millionen Euro. Die andere Tochter, Schneider Laser Technologies, wurde vom zweiten Insolvenzverwalter Kübler an Jenoptik, den früheren Lieferanten der mangelhaften Laserquellen, verkauft. Preis: 4,6 Millionen Euro für 60 Prozent bei einer Kaufoption für die restlichen 40 Prozent in Höhe von 1,4 Millionen Euro.

Erstaunlich wenig für eine Sparte, die 1999 noch mit 100 Millionen Mark bewertet wurde. Und deren Wert Kübler selbst nach der Insolvenz noch auf „zwischen 20 und 30 Millionen Euro“ taxiert hatte – wegen der wertvollen Patente an der Laser-Technik. Die LfA gab sich offensichtlich mit dem mäßigen Ertrag aus dem Verkauf an Jenoptik, damals noch unter ihrem Vorstandsvorsitzenden Lothar Späth, zufrieden. Trotz ursprünglich 27 Interessenten in einem nichtöffentlichen Bieterverfahren. Aber das ist eine andere Geschichte.