Die Doggen sind kampfbereit

Streifzüge durch Europa (V und Schluss): Kultureller Austausch? Nein, danke! Dänemark galt lange als liberaler Musternachbar im Norden. Inzwischen sollte man das Land eher als Problemfall ansehen

Festung, Wagenburg oder Groß-WG? Die Europäische Union wird 2004 um zehn Beitrittsländer erweitert. Wie aber kommen das „alte“ und das „neue“ Europa in der Praxis miteinander klar? Die vorangegangenen Beiträge dieser Serie beleuchteten diese Fragen anhand der Beispiele Italien, Irland, Bulgarien und Weißrussland

von JAN FEDDERSEN

Pia Kjaersgaard muss sich nicht wie eine Aussätzige fühlen. Im Gegenteil. Die Chefin der Dansk Folkparti, der dänischen Volkspartei, welche der rechtskonservativen Regierung in Kopenhagen von Abstimmung zu Abstimmung erst den nötigen antiliberalen Dreh verpasst, zählt zu den beliebtesten PolitikerInnen Dänemarks. Gut, nicht gerade in den modernen Kulturszenen von Kopenhagen, Odense oder Arhus, denn deren Arbeit, diesen ganzen unbürgerlichen, alternativen Tand, schätzt sie gar nicht. Auch in Kreisen von Einwanderern aus nichtskandinavischen Gegenden preist man ihren Namen nicht gerade. Im Gegenteil: Kjaersgaard war und ist jene Politikerin, die ihren Aufstieg zur Vorsitzenden einer rechtsradikalen Partei (samt fast 20-prozentiger Wählerzustimmung) einer Fülle von Bekenntnissen zum Dänentum und ebensolchen Aussagen gegen nichtblonde Ausländer verdankt: Anders als der kapriziöse Haider hat sie eher die Aura einer Hausfrau, die es wie Maggie Thatcher mit Vernunft geschlagen hat.

Und diese ihre Karriere dauert an. Mehr noch: Überhaupt ist Dänemarks Regierung unter dem rechten Ministerpräsidenten Anders Fogh Rasmussen (und der Tolerierung durch Kjaersgaards Parlamentsfraktion) nicht einmal entfernt von Abwahl bedroht. Nur in liberalen Kreisen mokiert man sich über ein neues Ausländergesetz, das, grob gesprochen, Ehepaaren verbieten kann, in Dänemark zu leben, obzwar der eine Teil originaldänisch ist. Der Inhalt – Regierungschef Rasmussen und die Seinen geben das unumwunden zu – zielt darauf, Zwangsehen muslimischer Menschen in Dänemark zu verhindern: Alles solle getan werden, muslimische Enklaven, gar Kolonien innerhalb des Landes zu verhindern. Hinweise von Staatsrechtlern, die Gesetze kollidierten doch erheblich mit der Menschenrechtskonvention, kommentierte Kjaersgaard mit dem Satz, Konventionen dieser Art seien keine „heiligen Kühe“. Niemand in Dänemark fand diese ernst gemeinte Bemerkung eines Skandals für würdig.

Man stelle sich dänische Verhältnisse in Deutschland vor: Eine rechtskonservative Regierung unter Führung von Roland Koch, toleriert von Populisten wie Ronald Schill (allerdings ohne dessen bohemehafte Cholerik), erklärt Europa zum ökonomischen Netzwerk, das kulturell allerdings nur begrenzt Fruchtbares dem deutschen Alltag beisteuern könne. Türkischstämmigen Deutschen ist die Heirat mit Menschen ohne deutschen Reisepass, aber nichteuropäischer Herkunft mehr oder weniger so stark erschwert, dass sie nicht möglich wird. Überhaupt artikulierte diese Regierung, alles, was nicht deutsch sei, müsse toleriert werden, aber gewiss nicht in Deutschland. Man erkennt: Eine solche Regierung könnte sich in Deutschland nicht eine Woche lang halten. Man würde sie des Rassismus zeihen, der Herzlosigkeit – und obendrein der Kollision mit jenem Grundgesetzartikel, der Ehe und Familie schützt.

Doch in Dänemark sind viele Dinge seit einigen Jahren möglich, und die Linke hat das Ihre dazu beigetragen, dass das Land zwischen Sönderborg und Skagen, zwischen Esbjerg und Kopenhagen, symbolisch gewogen, vom friedlichen Dackel zur kampfbereiten Dogge avancierte: Selbst die Art und Weise, wie Rasmussen sich US-Präsident Bush in puncto Irakkrieg andiente, ja, ihm zwei Dutzend Soldaten für die Koalition der Willigen andiente, als sei es besonders wichtig, sich von Frankreich und Deutschland bündnispolitisch abzusetzen, machte erstaunen. Rasmussen erklärte, man müsse sich in andere Länder einmischen, wenn die Verhältnisse undemokratisch sind – was einem Bruch mit der bisherigen außenpolitischen Tradition des Landes gleichkam, sich am besten aus allem herauszuhalten.

Aber spinnen die denn, die Dänen? Oder hat man bislang nur ein Land verklärt, weil es sich stets niedlich ausnahm? Dänemark – war das nicht der liberale Musternachbar oberhalb von Schleswig-Holstein? Und hat das gerade Menschen gefallen, die deutscher Miefigkeit entfliehen wollten? Ein Land, wo man keine Knackwürste goutierte, sondern die Kultur der Pölser lebt – rötlichen Würsten im pappigen Brötchenmantel, eingestrichen von Remoulade, Ketchup und Senf? Wo man zum Sexuellen kein fleischfeindliches Verhältnis pflegte, sondern im Namen des Freisinns pornografische Erzeugnisse zu erwerben legalisierte? Und ein Design kultivierte, das ferner vom Stil der Hildesheimer Rose nicht sein konnte? Wo das Bodum-Imperium und dessen Art des anderen Kaffeekochens seine Heimat hat, wo irgendwie alles so rein und klar aussieht, als sei dort die wahre Erbschaft des Bauhauses angetreten worden?

Ein Land, das sich schon Anfang der Siebziger der Europäischen Union nur mühsam anschließen wollte – was von der hiesigen Linken schon damals irgendwie gut gefunden wurde, weil doch Dänemark projektiv eher an ein kleines gallisches Dorf erinnerte, das sich den Zumutungen des römischen Imperiums, also Europas sehr eigen verweigerte? Wer mochte schon im Steuerpopulisten Mogens Glistrup mehr erkennen als einen Rebellen, der die Kosten des Sozialstaats einsparen wollte? Dänemark – da freute sich 1992 sogar das rot-grüne Deutschland, als die DFB-Elf im Europameisterschaftsfinale den so genannten Freizeitkickern im rot-weißen Dress unterlag: Und nahm die Jubelfeiern auf dem Kopenhagener Rathausplatz nicht als das wahr, was sie auch verkörperten: nationalistische Exzesse, im Wahn, die Allerbesten zu sein, mindestens in Europa.

Das Meiste spricht dafür, dass der Deutschen Zuneigung zu den „Italienern des Nordens“ (eine Floskel, die sich gern in liberalen Medien findet, um Dänemark zu charakterisieren) einer fehlerhaften Selbstwahrnehmung erstens und einer Verkennung des Umschwärmten zweitens gleichkam. Kein Land in der Europäischen Union (und seine rechtskonservative Regierung) dekonstruiert seine Liberalität so konsequent wie Dänemark. Als Österreich sich den organisierten Zorn der Europäischen Union zuzog, weil die Rechtspopulisten um Jörg Haider in die Regierung gebeten wurden, hatte Dänemark längst (freilich noch unter sozialdemokratischen Vorzeichen) Gesetze gegen Ausländer beschlossen, gegen die sich die Vorschläge von CDU/CSU wie kapitulantenhafte Randnotizen zur Multikultidebatte ausnehmen.

Das konnte damals natürlich gelingen – und man konnte entsprechend Wahlkampf betreiben –, weil das Gros der Dänen ohnehin nicht viel vom Außerdänischen hält. Man brauchte vor vier Jahren nur darauf hinzuweisen, dass viele Einwanderer keinen Draht zum Dänischen kriegen, dass ihre Sprösslinge selbst nach vier Schuljahren nicht Dänisch sprechen, dass sie sich folglich nicht integrieren. Aber das war – bei allem, was als Körnchen Wahrheit an diesen Anwürfen zu finden sein könnte – natürlich demagogisch, denn die Ausländerräte selbst in der Metropole Kopenhagen wussten früh zu berichten, dass Jobbewerbungen oftmals schon dann aussichtslos sind, wenn die Absender nicht Möller oder Rasmussen heißen, sondern sich als Öztürk oder Al-Kanein oder Khan ausweisen.

Die sozialdemokratische Meinungsführerschaft in puncto Xenophobie mündete vor Jahren fast natürlich in eine satte Ablehnung der Übernahme des Euro. Eine gemeinsame Währung Europas? Nein, hieß es selbst unter Sozialdemokraten, denn was haben wir mit Griechen oder Italienern zu tun? Kommen sie als Urlauber, sind sie (und ihr Geld) willkommen, Dänemarkurlauber wissen, wie teuer das Land ist und wie wegelagererhaft die Preise in dänischen Ferienhauskolonien sind. Aber als Mitbürger sind sie unerwünscht. Das allgemeine Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern in allen Teilen der EU gilt überall – nur nicht in Dänemark: Den Deutschen gegenüber, ganz verfolgende Unschuldslämmer, argumentiert man gar mit dem Kummer der Besatzung durch die Nazis, als hätten die Dänen nicht den ideellen Kern der Naziära selbst häufig geteilt: den Glauben an ethnische Reinheit.

Dass sich hinter dem Rechtspopulismus eine Angst vor den Folgen der Globalisierung verbirgt – Abbau von Arbeiterrechten beispielsweise, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben –, mag man glauben: Tatsächlich aber ist Dänemark so unterfüttert mit allem, was vor Armut bewahren hilft (Bildungs- und Sozialstrukturen), dass die Erklärung für die dänische Aversion gegen Europa nur sein kann, dass man einfach nicht teilen will. Nichts abgeben: Was hat man schon mit den faulen Levantinern zu tun!

Widerstand regt sich? Spurenweise. Am Wochenende wird in Kopenhagen gegen die Pläne der Regierung demonstriert, das alternative Christiania zu planieren. Das Musterprojekt dänischer Aussteiger im Geiste Woodstocks soll kein Marktplatz für Drogen mehr sein. Die Regierung sagt, dass die Haschischdistribution vollständig in der Hand der kriminellen Hell’s Angels sei. Womit sie, nach allem, was man hört, Recht hat. Es wird also ein nostalgischer, folgenloser Protest: Gegen die (von Pia Kjaersgaard schon vor zehn Jahren propagierte) Idee, die einst als Easy-Rider-hafte Rockerbande verklärte Organisation zu zerstören, ist kein Kraut gewachsen.