nebensachen aus rom
: Investigativer Journalismus im Sommerloch

Schenkel und Pobacken

Sommerzeit – das ist für Nachrichtenmacher Saure-Gurken-Zeit. Besonders sauer sind die Gurken in Italien. Dort nämlich passiert im August gemeinhin schier gar nichts. Die Städte sind verwaist, das ganze Land hat sich in den Urlaub abgemeldet, und der Politikbetrieb ist eingestellt. Auch noch der letzte Hinterbänkler aus dem Parlament macht Ferien, anstatt mit irgendeiner albernen Presseerklärung ein bisschen Sommertheater zu veranstalten, das wenigstens für zwei oder drei Tage die Schlagzeilen füllen könnte.

Im Dienst sind aber weiterhin die armen Socken aus den Nachrichtenredaktionen des staatlichen wie des privaten Fernsehens. Und Tag für Tag müssen sie mittags wie abends je eine halbe Stunde die Hauptnachrichtensendungen mit News füllen, die es dank Sommerloch nun mal einfach nicht gibt. Das Loch aber muss irgendwie gefüllt werden. Aber womit nur?

Natürlich mit dem Sommer. Da ist das italienische Fernsehen so unerbittlich wie das deutsche zu Weihnachten: The same procedure as every year. Das erste spannende Sommerthema heißt: Wie ist wohl das Wetter? Normale Menschen würden einfach aus dem Fenster gucken. In Italien dagegen schauen sie besser in die TV-Nachrichten. Denn die schalten zu Korrespondentenberichten nach Venedig, nach Florenz, nach Rom, nach Neapel und nach Palermo.

Überall gibt es die gleiche sensationelle Auskunft: Es ist ziemlich warm. Am liebsten lassen sich das die Reporter von ausländischen Touristen aufsagen: hot, muy caliente, furchtbar heiß. Da wundert sich der Italiener.

Aber da ist noch eine zweite brisante Frage, der die investigativen Journalisten des italienischen Fernsehens Jahr für Jahr im August gern nachspüren: Wo treiben sich eigentlich all die Leute rum, die gerade weggefahren sind? Auch hier gibt es – mit Liveschaltungen an die Adria, nach Sardinien oder Capri – Unerhörtes zu berichten: Sie liegen am Meer. Ölig glänzende Schenkel, wabbelnde Pobacken, schwitzende Bierbäuche zu Hunderten sind das unwiderlegbare Bildmaterial der unglaublichen Enthüllungsstorys.

Doch Fernsehen hat auch einen Serviceauftrag, ist Dienst am Bürger – und den nehmen die Nachrichtenmenschen in Rom oder Mailand richtig ernst. Zum Beispiel die Ernährung. Alle Jahre wieder und auf allen Kanälen erfahren die Zuschauer, während die Kamera über fettige Saucen schwenkt, dass man bei heißem Wetter „nicht zu schwer essen“ und sich besser nicht schon gleich zu Mittag zwei Flaschen Barolo genehmigen sollte. Der – übrigens ziemlich übergewichtige – Ernährungsexperte im Studio setzt dann nach mit einem Lobgesang auf Obst, Gemüse und Salate.

Es gibt jedoch noch wichtigere Tipps, Tipps, die Leben retten können bei 38 Grad. „Nicht zu warm anziehen!“, empfehlen die Nachrichten. Jetzt weiß der Zuschauer endlich, warum er so fürchterlich geschwitzt hat, pellt sich, zutiefst dankbar für den guten Rat, aus seinem Norwegerpullover und hängt den Pelzmantel zurück in den Schrank.

Die Lektion ist aber noch keineswegs zu Ende. Heftig Sport zu treiben, zu joggen etwa in der Mittagshitze – das sei nun wirklich nicht geraten, lässt der Anchorman uns wissen. Erstaunt setzen wir uns wieder hin, ziehen die Laufschuhe aus, legen die Hanteln weg und tun uns lieber die RAI-Nachrichten rein. Nur einen Verdacht haben wir: dass bei großer Hitze auch das Nachrichtenmachen so seine Schäden hinterlässt.

MICHAEL BRAUN