„Wir werden gewinnen“

Das neue Urheberrecht in Deutschland war nur der Anfang. In der EU wird schon darüber beraten, die Rechte der Medien- und Computerindustrie nach dem Vorbild der USA noch weiter auszudehnen

Interview MATTHIAS SPIELKAMP

taz: Kommende Woche wird im EU-Ausschuss für Recht und Binnenmarkt die vorgeschlagene „Richtlinie über die Maßnahmen und Verfahren zum Schutz der Rechte an geistigem Eigentum“ diskutiert. 48 verschiedene Organisation aus Ländern der EU rufen dazu auf, den vorliegenden Entwurf abzulehnen. Diesen Appell haben Sie mit Ihrer Organisation „IP Justice“ koordiniert.

Robin Gross: Ich hatte den Eindruck, dass wir in den USA eine Menge Erfahrungen gemacht haben mit den neuen Gesetzen zum Urheberrecht. Hier machen sich viele Menschen Sorgen um die Entwicklung auf diesem Gebiet, mehr als in anderen Ländern. Das liegt sicher in erster Linie daran, dass diese drakonischen Gesetze, die in Europa gerade erst verabschiedet wurden oder werden sollen, hier bereits seit fünf Jahren gelten.

Wie wirken sich diese Gesetze aus?

Es gibt eine dramatische Abschreckungswirkung auf die Forschung und freie Rede im Allgemeinen. Der Digital Millennium Copyright Act (DMCA) verbietet es, an bestimmten Technologien zu forschen, die dabei helfen könnten, Kopierschutzmechanismen zu überwinden. Manche Wissenschaftler können nicht mehr über ihre Forschung sprechen, ohne Gefahr zu laufen, gegen den DMCA zu verstoßen. Das hat bereits dazu geführt, dass Wissenschaftler sich anderen Forschungsfeldern widmen, weil sie es nicht riskieren wollen, von der Musik- oder Filmindustrie verklagt zu werden.

Das betrifft aber bisher nur Forscher in den USA.

Nein, es gibt auch Wissenschaftler aus anderen Ländern, die sagen, sie reisen nicht mehr in die USA, weil sie sich mit ihrer Forschung dem Risiko aussetzen, hier im Gefängnis zu landen. Russland hat aus dem Grund sogar seine BürgerInnen offiziell davor gewarnt, in die USA zu reisen, vor allem wenn sie auf diesem Feld arbeiten. Darüber hinaus bedrohen die Gesetze Innovation und freien Marktzugang. Der Druckerhersteller Lexmark zum Beispiel hat die Firma Static Control verklagt, die günstige Tonerkartuschen für Lexmark-Laserdrucker herstellt. Die Kartuschen enthalten Chips, mit denen sie sich beim Drucker elektronisch anmelden müssen. Diese Anmeldeprozedur hat Static Control analysiert, damit sie auch mit den eigenen Kartuschen funktioniert. Dieses so genannte Reverse Engineering ist nach den US-Copyrightgesetzen völlig legal. Weil aber die Daten verschlüsselt waren und der DMCA es nicht erlaubt, eine Verschlüsselung außer Kraft zu setzen, behauptet Lexmark, dass Static Control gegen das Gesetz verstößt. Daher können keine billigen Tonerkartuschen verkauft werden – mit einer Urheberrechtsverletzung hat das nichts mehr zu tun.

Um das Urheberrecht mussten sich bisher nur Fachjuristen, Verlage und Autoren kümmern. Was hat sich geändert?

Fast jedes Mal, wenn man in einer immer stärker digitalisierten Welt ein Musikstück anhört, sich einen Film von einer DVD anschaut oder ein Computerprogramm installiert, wird – technisch gesehen – eine Kopie gemacht. Dadurch haben Urheberrechtsgesetze heute gewaltige Auswirkungen auf uns alle. Und eine der schwierigsten Aufgaben ist es, den Menschen zu zeigen, dass Fragen des so genannten geistigen Eigentums Bürgerrechtsfragen sind. Bevor sie eine CD kaufen, die sie auf ihrem Computer nicht mehr abspielen können, werden viele Menschen das nicht verstehen.

Sie sagen, auch die „Richtlinie zur Durchsetzung des Urheberrechts“ der EU schränke die Bürgerrechte ein. Warum?

Weil durch sie der Schutz der Privatsphäre zum Teil außer Kraft gesetzt würde. Persönliche Informationen können an Rechteinhaber, etwa Film- oder Musikfirmen, weitergegeben werden, ohne dass geprüft werden muss, ob ein Gesetzesverstoß vorliegt. Damit werden die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verletzt. Zudem wird das Recht auf die so genannte lautere Verwendung ausgehebelt: Das Urheberrecht erlaubt etwa, dass ich mir eine CD kopiere, wenn ich diese Kopie privat nutzen will. Aber die neue Richtlinie verbietet das, wenn die CD mit einem Kopierschutz ausgerüstet ist.

Dafür hat schon die deutsche Urheberrechtsnovelle gesorgt, die gerade in Kraft tritt. Was ist denn an der Richtlinie so neu?

Die Durchsetzungsrichtlinie ist noch viel strenger – auch der DMCA –, weil sie für alle Formen des geistigen Eigentums gilt, nicht nur für das Urheberrecht. Außerdem lässt sie absolut keine Ausnahmen zu.

Was bedeutet das für den Zugang zum Wissen?

Der wird enorm eingeschränkt. Bisher war es so, dass alle urheberrechtlich geschützten Werke irgendwann „gemeinfrei“ wurden, also für alle zugänglich und nutzbar. Wenn aber nun für elektronisch geschützte Werke verboten wird, den Schutz zu umgehen, dann werden sie niemals der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, denn dieser Schutz gilt für immer und ewig.

Die Entwickler der Richtlinie sagen, dass zum Beispiel Personen, die Musik in Internetbörsen wie Kazaa austauschen, nichts zu befürchten haben, denn es sei nicht im Interesse der Industrie, Geld und Zeit darauf zu verwenden, Leute zu verfolgen, die Musikstücke mit ihren Freunden austauschen.

Das sollte mal jemand dem RIAA erzählen, dem Interessenverband der großen Musikverlage in den USA. Der hat bereits ungefähr tausend Verfügungen eingereicht, die Internet-Provider dazu zwingen, die Namen von Privatpersonen preiszugeben, die angeblich illegal Musik tauschen. Wenn sie die Namen haben, wollen sie Klage einreichen. Und der Verband der Filmwirtschaft, MPAA, hat angekündigt, er werde täglich tausend Privatpersonen verklagen, wenn es sein muss.

In Deutschland hat es viel Kritik an der Novelle des Urheberrechts gegeben von Bibliotheken, Bürgerrechtsorganisationen und Verbraucherschützern. Genützt hat es wenig. Wie stehen denn die Chancen, Einfluss zu nehmen auf die Gesetzgebung in anderen Ländern?

Vor allem Entwicklungsländer sollten scharf nachdenken, bevor sie Gesetze wie den DMCA verabschieden. Denn in der Praxis schützen solche Gesetze die Rechteinhaber – und das sind nicht die Firmen in den Entwicklungsländern, sondern die in den USA. Aber die USA üben sehr viel Druck aus, um diese Gesetze zu exportieren. Bei uns merken viele Menschen, dass es schlechte Gesetze sind, die verabschiedet wurden. Daraus könnten andere Länder lernen und eben keine vergleichbaren Gesetze in Kraft setzen, und es gibt auch Widerstand dagegen. Aber durch Handelsvereinbarungen und multinationale Verträge, etwa der World Intellectual Property Organisation (WIPO), zwingt die USA andere Länder zu solchen Gesetzen. Sie sagen ganz einfach: Wenn ihr nicht entsprechende Gesetze verabschiedet, treiben wir keinen Handel mehr mit euch. Entwicklungsländer haben da keine besonders starke Verhandlungsposition.

Ein aussichtsloser Kampf?

Sobald die Gesetzgeber merken, dass die Gesetze schlecht für die eigene Wirtschaft sind, dass die Abhängigkeit von den USA dadurch nur größer wird, werden sie anfangen, nachzudenken und zu erkennen: Diese Gesetzte wollen wir gar nicht haben. Aber das passiert nicht einfach so, wir müssen ihnen die schlechten Erfahrungen vermitteln, die wir in den USA gemacht haben. Es gibt aber auch erste Erfolge. Das finnische Parlament zum Beispiel hat den Gesetzentwurf abgelehnt, mit dem die EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht übertragen werden sollte, und ihn ans Justizministerium zurückgeschickt. Klar, wir kämpfen gegen etwas, was ich den 1-Million-Pfund-Gorilla“ nenne: Die Urheberrechtsmaximalisten, die die totale Kontrolle über die Gesellschaft wollen, haben mehr Geld, bessere Kontakte, einfach mehr Ressourcen. Aber wir haben die BürgerInnen auf unserer Seite, die diese totale Kontrolle eben nicht wollen. Die Auseinandersetzung hat gerade erst begonnen. Am Ende werden wir gewinnen.

spielkamp@autorenwerk.de